Politics & StandpointsWas Bauen mit dem Klimawandel zu tun hat

John Schellnhuber ist einer der renommiertesten Klimaforscher weltweit. Der Professor für Physik hat das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung gegründet und zweieinhalb Jahrzehnte von 1992 bis 2018 geleitet. Schellnhuber hat Papst Franziskus beraten und war Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zum Thema „Globale Umweltveränderungen“. Er ist einer der maßgeblichen Denker hinter der Initiative des Neuen Europäischen Bauhauses von EU-Kommissions-präsidentin Ursula von der Leyen. Im Gespräch mit dem Diplomatischen Magazin geht es um Holz und Bambus als Baustoff der Zukunft, um organische Architektur und europäische Bauvorschriften.


DM: Herr Professor Schellnhuber, warum beschäftigen Sie als Klimaforscher sich mit Fragen der Architektur und der Bauwirtschaft?
John Schellnhuber: Der Bausektor ist eine Art weisser Elefant im Klimaraum. Er ist lange übersehen worden, dabei ist er der wichtigste Sektor überhaupt, wenn wir das Pariser Abkommen umsetzen wollen. 2015 auf der großen Pariser Klimakonferenz wurde völkerrechtlich beschlossen, dass die Erderwärmung unter 2 Grad gehalten werden soll, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad begrenzt. Was extrem schwer ist, weil wir schon bei 1,25 angelangt sind. Bei über 2 Grad gibt’s dann massive Probleme für die gesamte Zivilisation. Ich habe mich dreißig Jahre lang damit beschäftigt, die Prognosen sind keine Hysterie. Wenn wir nicht gegensteuern, wird es einen Meeresspiegelanstieg geben, die Regulationszonen werden sich verschieben und wahrscheinlich wird es Flüchtlingsströme im Bereich von Hunderten Millionen Menschen geben.


DM: Wir können aber gegensteuern, sagen Sie. Wie sieht die Lösung für den Bausektor aus?
John Schellnhuber: Vierzig Prozent unserer Feinstaubemissionen kommen aus dem Bausektor. Das Errichten von Gebäuden, Zement, Stahl etc. sind extrem klimaschädlich, ebenso das Betreiben von schlecht gedämmten Gebäuden und der Abriss. Das Müllaufkommen in Deutschland kommt zu über 50 Prozent aus dem Bausektor. Das Entscheidende aber ist das Material, aus dem Häuser gebaut werden. Es gibt tatsächlich einen Königsweg und der heißt Holz. Der Bausektor kann nicht nur Emissionen vermeiden, sondern sogar Emissionen aus anderen Sektoren wiedergutmachen. Bäume wachsen, indem sie Licht nehmen, Wasser und CO2. Sie leben vom CO2. Dieses CO2 wird im Holz gebunden und in alle möglichen organischen Verbindungen umgewandelt. Wenn Sie einen Baum zu Brennholz zersägen und verfeuern, haben Sie das CO2 einfach wieder in die Atmosphäre zurück entlassen. Sie haben vielleicht Energie gewonnen, aber Sie haben klimatisch nichts erreicht. Wenn Sie das Ganze aber verbauen und für Hunderte von Jahren speichern, dann haben Sie damit CO2 aus der Atmosphäre herausgenommen.


DM: Holz kann also den Klimawandel nicht nur aufhalten, sondern zum Teil rückgängig machen?
John Schellnhuber: So ist es. Die große Vision ist, dass wir unsere Städte mehr oder weniger aus organischen Materialien bauen und damit letztendlich nicht nur klimaschädliche Emissionen vermeiden, sondern sogar teilweise wiedergutmachen. Die Idee ist, dass das, was wir verbrennen über die fossilen Energieträger und was in die Atmosphäre geht, abernten, wenn es durch Photosynthese in den Bäumen gebunden ist. Wenn man es fachgerecht verbaut, hat man quasi den Kohlenstoff aus dem Kreislauf herausgenommen und das CO2 gespeichert. Beim Holz wird CO2 gebunden, beim Zement wird es freigesetzt. Der Bausektor, wenn er zum Bauen mit Biomaterialien übergeht, kann als einziger Sektor tatsächlich die schädliche Klimaentwicklung umkehren. Übrigens kann man auch die Frage der Feuersicherheit heute lösen. Und man kann Hochhäuser errichten aus Holz, die feuerfest sind, termitensicher, erdbebensicher. Holz ist ein großartiges Material.


DM: Gilt das für alle Regionen der Erde?
John Schellnhuber: Im Globalen Süden ist Bambus das Mittel der Wahl. Bambus ist hervorragend, es braucht nur 6 Jahre, bis es verholzt und für den Hausbau geeignet ist. Früher war in den Tropen alles aus Bambus. Heute hat es den Geruch der Arme-Leute-Architektur. Ich bin als junger Mann kreuz und quer durch Afrika gereist und habe überall die zerbröckelnden Stahlbetonbauten gesehen. Grauenvoll. Stahlbeton zerbröckelt in den Tropen nach 30 Jahren. Leider hat man die traditionelle Architektur verachtet, doch genau dieser organischen traditionellen Architektur gehört die Zukunft. Ich habe vor einigen Jahren eine Initiative gegründet zum „Bauhaus der Erde“. Das war Pate für das New European Bauhaus, als ich Ursula von der Leyen letztes Jahr von der Transformation des Bausektors erzählt habe.
 

DM: Was muss geschehen, damit die „Organische Architektur“, wie Sie die klimafreundliche Architektur nennen, sich in der Breite durchsetzt?
John Schellnhuber: Es muss u.a. eine Reform der Bauvorschriften in Europa geben. Bisher ist es so: Wer klimafreundlich bauen oder Städte begrünen will, stößt ständig auf behindernde Bauvorschriften. Das weiß ich von vielen Firmen, die sagen, ich schaff es nicht, über die untere Brandschutzbehörde hinwegzukommen. Ich muss mit klimaschädlichen Materialien bauen, weil ich sonst keine Genehmigung bekomme. Wir brauchen eine Gesetzgebung, die die Rahmenbedingungen für eine organische Architektur in Europa schafft. 
 

Artikel: Marie Wildermann