REISE Dalmatien - Sehnsucht nach dem Süden

Namensgeber waren die Delmater, die in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts das Gebiet zwischen den Flüssen Krka und Cetina bewohnten. In der altillyrischen Sprache bedeutet „delm“ oder „dalm“ Hirte, was auf ihr hauptsächliches Tagewerk hinweist. Da diese Delmater den römischen Invasoren den härtesten Widerstand leisteten, ihre Tapferkeit also in nachhaltiger Erinnerung blieb, wurde ihr Name zum Synonym für alle an der Küste siedelnden illyrischen Stämme und blieb Nomenklatur bis heute.

Die Kirche St. Maria in Prvić Sepurine

Römischer Einfluss

Die Geschichte Dalmatiens ist fragmentiert und enthält viele oft nur vorübergehende Abschnitte. Sie kann daher in diesem Format nur in vereinfachten Zügen erzählt werden, mit Schwerpunkten auf den Narrativen, die sich bis heute in bekannten Bauwerken manifestiert haben. Für die Römer war das Mittelmeer das Mare Nostrum, das genuine Territorium ihres Reichs. Sie waren aber als Eroberer weniger Zerstörer, sondern vielmehr Erbauer einer imperialen Struktur, sichtbar in Städten, Kastellen und einem funktionierendem Straßennetz. Die Provinzhauptstadt war das damals kosmopolitische Salona, heute ein ausgedehntes Ruinenfeld, ein illyrisches Forum Romanum, ebenfalls mit einem Amphitheater, im heutigen Solin nahe Split. Dort erbaute der große Kaiser Diokletian, der von 284 bis 305 regierte, einen Palast mit den Maßen 215 mal 180 Meter, nicht etwa als zweiten Regierungssitz, sondern als Domizil für seinen Lebensabend, gleich mit Mausoleum. Diokletian war mit einer Regierungszeit von über 20 Jahren einer der großen Imperatoren, freilich auch bekannt für seine konsequente und weitreichende Verfolgung der Christen. Die meisten der heute in der katholischen Kirche als Märtyrer Verehrten starben qualvoll unter seiner Regentschaft.

Das Forum Romanum, die St. Anastasia Kathedrale und die St. Donatus Kirche in Zadar

Christentum erhält Einzug

Nach dem Edikt von Mailand im Jahr 313 unter Kaiser Konstantin I. verbreitete sich das Christentum vor allem in Illyrien sehr schnell und die Herzkammer des Palastes, das Mausoleum, wurde zu einer der frühesten Kathedralen jener Region. Neben Salona und Split bietet das im Grundriss erhaltene Forum von Zadar einen nachhaltigen Eindruck des römischen Städtebaus. Es sind zwar nur noch Teile des Fundaments und Trümmer von Säulen sichtbar, sie sind aber das Bühnenfeld für die opulente Kulisse, bestehend aus der Rundkirche St. Donatus und der Kathedrale St. Anastasia.

Der Innenhof des Rektorenpalastes in Dubrovnik

Dem Zusammenbruch des römischen Reichs folgten häufig wechselnde Herrschaftssysteme: im 5. Jahrhundert Byzanz, der germanische König Odoaker und der ostgotische Theoderich, im 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian I. wieder Byzanz. Im 7. Jahrhundert zerstörten die Slawen und Awaren fast alle städtischen Strukturen, weshalb die römische Epoche heute kaum noch dokumentiert und sichtbar ist. Im 8. und 9. Jahrhundert geriet Dalmatien unter die fränkische Expansion, und im 11. Jahrhundert schließlich verlieh sich der kroatische König Petar Krešimir IV. den Titel des „Königs von Dalmatien“.

Amphitheater von Salona

Aus dieser Zeit gibt es heute weder sakrale noch profane Bauwerke, lediglich die Rotonda des Heiligen Donatus in Zadar stammt aus dem 9. Jahrhundert. Erst im 12. Jahrhundert entstanden dann die Kathedralen des Heiligen Tripun in Kotor und des Heiligen Chrysogonus in Zadar, es folgten St. Laurentius in Trogir und St. Dominius in Split, jeweils im 13. Jahrhundert, alle im romanischen oder frühgotischen Baustil. Dieser dominiert überhaupt in den Dörfern und Märkten im Landesinneren und auf den Inseln und vermittelt dem Reisenden etwas Ursprüngliches, in der Zeit Stehengebliebenes.

Das Mausoleum und die St. Dominius Kathedrale in Split

Barocker Baustil

Von 1409 bis zu seinem Untergang 1797 beherrschte dann Venedig die Adria. Diese war fast 400 Jahre lang der Vorhof und Lieferant der Serenissima. Das schönste Andenken an diese Epoche ist das Festlandstor in Zadar mit dem charakteristischen Markuslöwen, projektiert von dem berühmten Baumeister Michele Sanmicheli im Jahr 1543. Weitere baugeschichtliche Dokumente sind die Rathäuser von Hvar, Korćula und Trogir, hier auch das jetzige Schulgebäude, und die sogenannten Rektorenpaläste in Zadar, Šibenik, Cavtat und Dubrovnik. Diese Stadt behielt zwar stets ihre Eigenständigkeit, blieb also von Venedig unabhängig, gleichwohl ist die baugeschichtliche Ähnlichkeit nicht zu übersehen. Ihre Bürger pflegten und kultivierten „la Venezia altra“ als alternative Metropole der Adria. Am 6. April 1667 wurde Dubrovnik durch ein Erdbeben völlig zerstört, über 5.000 Einwohner starben in den Trümmern. Der Wiederaufbau fiel dann schon in die Epoche des Barock, lediglich der Rektorenpalast und der Palast Sponza wurden im alten Stil restrukturiert. So ist heute Dubrovnik die einzige Stadt Dalmatiens mit einer Barockkulisse, das Rokoko und nachfolgende Baustile wurden nirgends rezipiert.

Das Rathaus von Split

Nach dem Untergang Venedigs kam Dalmatien zunächst zu Österreich, 1805 zu Frankreich und nach dem Wiener Kongress wieder zur kaiserlichen und königlichen (k. u. k.) Monarchie, als „Kronland Dalmatien“ mit über 600.000 Einwohnern, neben Triest der wichtigste Zugang zum Mittelmeer. Mit dem Ende der Monarchie 1918 wurde Dalmatien einerseits Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, andererseits dem Sieger Italien zugeordnet. Nach 1945 gehörte Dalmatien zu Montenegro und Jugoslawien, nach dessen Auflösung zur Republik Kroatien. Im Kroatien-Krieg 1991 und 1992 wurden insbesondere Zadar, Šibenik und Dubrovnik schwer beschädigt, heute noch zu erkennen an den neuen Dächern mit roten Ziegeln. In Dubrovnik, das 240 Tage eingeschlossen war, erkennt man fast nur renovierte Hausdächer, man sieht also nur rot.

Steine für Split und Washington

Nur mit der Schilderung der historischen Fakten im Kontext mit der Baugeschichte lässt sich Dalmatien nicht verstehen und vermitteln, es erschließt sich weniger über die Erkenntnis, sondern über die Emotion: EQ statt IQ. Landwärts wird Dalmatien begrenzt durch den adriatischen Karst, eine Felsformation, die sich von Triest bis Kotor über 600 Kilometer durchzieht und die die geografische Schmalheit Kroatiens am Mittelmeer erklärt, dahinter liegen Serbien und Bosnien. Dieses Gebirge, das bis zu 1.700 Meter aufsteigt, ist kaum bewaldet, sondern nur sporadisch mit niedrigen Kiefern und Pinien bewachsen. Der frühere Hochwald fiel dem unermesslichen Holzbedarf Venedigs für seine Flotten und Palastfundamentierungen zum Opfer und konnte sich nie mehr erholen, ähnlich wie in Sizilien und Schottland. Die hellgrauen bis fast weißen Karstfelsen geben Dalmatien eine markante geografische Kulisse und harmonieren farblich mit den Städten und Dörfern, deren Gebäude und Straßen damit gebaut sind. Der berühmte weiße Stein von Brać lieferte das Material für den Palast in Split und das Weiße Haus in Washington.

Die Gewässer Dalmatiens sind wie am Schöpfungstag zwei: rein, glasklar, transluzid, kristallin, türkis bis tintenblau. Sie umspülen fast 1.000 teils unbewohnte Inseln und 400 Kilometer Küstenlinie, sie bestimmen das Leben der Menschen, der Fauna und Flora. Sie prägen die Kultur und Geschichte und definieren die Einzigartigkeit Dalmatiens.

Die kroatische Gemeinde Primošten

Sehnsuchtsort für Kaiser, Könige und Künstler

Die Versuche, den Inbegriff der Heimat zu verstehen und zu bestimmen, werden nie enden. Viele Menschen ziehen sich am Ende ihrer Tage, nach Beruf und Ehe, wieder zu den Orten ihrer Kindheit und Jugend zurück, eine tiefe, nicht bestimmbare Sehnsucht führt sie dorthin, wo sie hergekommen sind, genau dort ist ihre Heimat und genau dies ist Heimat. So war es auch bei Diokletian. Nach seiner erfolgreichen Kaiserzeit von über 21 Jahren wollte er wieder zurück nach Dalmatien, wo er aus einfachen Verhältnissen herkam, und baute sich lange vorher seinen Palast, der bis heute die Altstadt von Split ausmacht. Hier verbrachte er seine letzten Jahre und ließ sich im Mausoleum bestatten. Dalmatien war und blieb seine Heimat.

Die Insel Korčula

Wer einmal die kroatische Küste und Inselwelt besucht hat, den zieht es immer wieder dorthin. Carlo Goldoni, Jack London, Eugène Ionesco und Agatha Christie reisten regelmäßig nach Dalmatien. Der britische König Eduard VIII. zog sich nach seinem Rücktritt vom Thron mit Wallis Simpson hierher zurück. George Bernard Shaw schrieb: „Als die Götter ihr Werk krönen wollten, schufen sie am letzten Tag aus Tränen, Sternen und dem Hauch des Meeres die Kornaten.“, die bekannte Inselgruppe bei Zadar und Nationalpark. In Omiš südlich von Split steht das „Haus des glücklichen Mannes“, über seiner Türe ließ er die Aufschrift meißeln: „Danke Gott, dass ich auf dieser Welt gelebt habe“.

Makarska vor dem Monte Biokovo

Über den Autor:

Dr. Helmut Schmidt ist der Honorarkonsul von Mali in München und schreibt seit vielen Jahren für das Diplomatische Magazin.