Königs Kolumne „Gefühlsmäßig war uns die DDR näher!“

Zahlreiche Länder hatten zu beiden deutschen Staaten diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Mehr oder weniger intensiv, aber immer interessant und irgendwie geheimnisvoll. Doch mit der deutschen Wiedervereinigung waren die Beziehungen zum Osten rasch abgehakt, verdrängt, ja vergessen. Spricht man heute Diplomaten darauf an, erntet man Staunen, Nichtwissen oder sogar Desinteresse.

Da waren die engen und wechselhaften Beziehungen mit Ländern wie Vietnam oder China. Oder die einzigartige Konstellation mit Kuwait. Kuwait war der einzige Golfstaat mit Beziehungen zur DDR. Was für ein Wechselbad der Gefühle für den letzten DDR-Botschafter, Kurt Merkel, der mit zwei untergehenden Staaten gleichzeitig zu tun hatte: Sein Entsendestaat, die DDR, war bereits in Abwicklung begriffen, und sein Gastland, Kuwait, war damals als Opfer des Irak-Überfalls vorübergehend ausgelöscht.

Da war die enge Beziehung mit Österreich, das bei schweren Störungen im deutsch-deutschen Verhältnis eingeschaltet wurde – in politischen, wirtschaftlichen und humanitären Angelegenheiten bis hin zum Gefangenen- und Agentenaustausch. Wenigstens Österreich scheint dies nicht verdrängt zu haben. Lässt man frühere Diplomaten erzählen oder auch die damaligen Facharbeiter aus dem Burgenland oder dem Mostviertel, die auf den DDR-Großbaustellen eingesetzt wurden, wird diese Zeitgeschichte sehr lebendig. Auch die Koreaner befassen sich intensiv mit damals, weil sie Lehren für die eigene Wiedervereinigung ziehen wollen.

Abgesehen von den DDR-Beziehungen zum Ostblock, zum Nahen Osten, zu den Entwicklungsländern in Afrika und Asien, zu Lateinamerika ragt das besondere Verhältnis zwischen der DDR und Japan heraus. Japan hatte zahlreiche Aufträge für Großprojekte in der DDR erhalten, wohl als Belohnung für die relativ frühe diplomatische Anerkennung der DDR. Kaum einer weiß, dass Hunderte japanische Facharbeiter in der DDR arbeiteten, schwindelfrei in hohen Höhen, sogar mit einem eigenen Sushi-Koch auf der Baustelle.

Ich konnte sogar den vorletzten japanischen Botschafter in Ost-Berlin, Keizo Kimura, in Tokio ausfindig machen und ihn von seinen abenteuerlichen DDR-Jahren erzählen lassen. Wunderbares Geschichtsmaterial – nicht aus den Akten, die Historiker als Quellen bevorzugen, sondern live aus dem Munde von Zeitzeugen, wie Journalisten sie als Quelle schätzen.

Durch die Errichtung der Großprojekte hatte Japan in der DDR-Bevölkerung ein relativ gutes Image. Und umgekehrt waren bei vielen von den links orientierten intellektuellen Japanern Begriffe wie Weimar, Leipzig und Dresden sowie Bert Brecht und Karl Marx populär. Dass sie Ostdeutschland lieber hatten als Westdeutschland, sei zwar nicht die Haltung der japanischen Regierung gewesen, trotzdem habe Japan zeitweise bessere Beziehungen zur DDR gehabt als zur BRD. Der Botschafter sagte: Natürlich sei Westdeutschland wirtschaftlich sowie in den offiziellen Beziehungen wichtig gewesen. „Aber wie soll ich sagen?“, fragte er. „Gefühlsmäßig war uns die DDR näher!“

Es ist schade, dass die meisten anderen Auslandsvertretungen dreißig Jahre danach diese Phase ausklammern und sich nicht damit befassen, als ginge sie das alles nichts an. Es gäbe noch so viel zu erzählen!

Über den Autor: 

Ewald König ist Chefredakteur bei korrespondenten.tv, ein Projekt des Berliner Korrespondentenbüros.