Königs Kolumne Die Message der Stadt nach 30 Jahren - Berlins Teilung und Freiheit und das Versagen an Originalschauplätzen

Oh doch, rechts vom Eingang in das damalige Internationale Pressezentrum der DDR (IPZ) und heutige Bundesjustizministerium in der Mohrenstraße 35 soll etwas daran erinnern. Nur ein paar Schritte vom Gendarmenmarkt entfernt gibt eine bodentiefe Glaswand den Blick auf einen Nullachtfünfzehn-Seminarraum frei, mit ein paar Stapelstühlen vor einem Flachbildschirm, dessen Endlosschleife ruhige Meereswellen zeigt.
 
Es handelt sich um eine Kunstinstallation – eine völlig missglückte. Was die Jury im Jahr 2000 veranlasst haben mag, aus 427 Einreichungen ausgerechnet diese Büromöbelkatalogszene des Kasseler Künstlers Ulrich Schröder auszuwählen, wird sich mir nie erschließen. Ziel des Wettbewerbs war es, „das Ereignis des 9. November 1989 zu würdigen und durch Kunst zu interpretieren“. Nichts gegen den Künstler, nichts gegen sein Werk. Aber alles gegen die verrückte Idee, hier Kunst zu installieren, wo Originalstücke hingehört hätten.

Warum nicht?

Die Installation wirkt hier so beliebig, überflüssig und unauffällig, dass sie allein dafür schon wieder sehenswert ist. Was für eine Fehlentscheidung: In all den Jahren habe ich keinen einzigen Menschen erwischt, der am Schaufenster angehalten hätte.

Warum hat man nicht exakt an dieser Stelle, die früher der Zugang ins IPZ war, die doppelte Pförtnerloge stehen lassen, in der die Stasi-Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) das Kommen und Gehen im Blick hatten? Warum zeigt man an dieser Stelle nicht eines der berühmten Fotos aus dieser Pressekonferenz? Warum erinnert nicht ein kurzer Filmausschnitt an die historischen Minuten? Warum kann man an der Glaswand kein Tondokument mit Schabowskis Stimme hören, mit der er hilflos Antworten auf die Journalistenfragen sucht? Warum stellte man nicht ein paar der abgewetzten Originalstühle aus dem Presseraum und Günter Schabowskis Konferenzpult auf? Warum wurden die Originalobjekte damals so rasch ins Haus der Geschichte in Bonn, 600 Kilometer von hier entfernt, abtransportiert? Warum zeigt man nicht die Abhöranlagen im Keller, die verwanzten Kugellautsprecher im Journalistenrestaurant?

Schlimm genug, dass der ursprüngliche Saal im ersten Stock abgerissen werden musste, als das Gebäude entkernt und zum Justizministerium umgebaut wurde. Als Zeitzeuge, der die Schabowski-Pressekonferenz vor dreißig Jahren miterlebt hat, hätte ich sogar die typischen Desinfektionsgerüche erhaltenswert gefunden.

Mit der Entkernung des Gebäudes wurde ein Stück Geschichte gleich mitentkernt. Berlin geizt mit Erinnerungen, derentwegen Touristen aus aller Welt kommen, und hat die Spuren der Teilung so schnell wie möglich verschwinden lassen. Der Denkmalschutz, der so manche städtische Scheußlichkeit akribisch rettet, hat bei Schauplätzen wie dem IPZ und dem zum Rummelplatz verkommenen Checkpoint Charlie kläglich versagt.

Zeitdokumente und Originalobjekte sind gefragt. Die Kunstinstallation in der Mohrenstraße ist dafür kein Ersatz. Mein Appell zum dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls: Bitte endlich weg damit!

Über den Autor:

Ewald König ist Chefredakteur bei korrespondenten.tv, einem Projekt des Berliner Korrespondentenbüros.