InterviewWie Demokratien manipuliert werden

Desinformations- und Manipulations-Strategien aufdecken, die Akteure identifizieren und Gegenstrategien entwickeln – das ist die Aufgabe der Abteilung Strategische Kommunikation des Europäischen Auswaertigen Dienstes. Diese Arbeit wird mit jährlich 12 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt finanziert. Lutz Güllner ist Leiter des 42-köpfigen Teams. Mit ihm hat das Diplomatische Magazin über die Arbeit seines Teams gesprochen.

DM: Herr Güllner, was genau ist die Aufgabe Ihrer Organisation?
Lutz Güllner: Die Abteilung Strategische Kommunikation und ihre Task Forces, die sich insbesondere mit Desinformationen von russischer Seite beschäftigen, wurde durch einen Beschluss der Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rats 2015 ins Leben gerufen: Direkt nach der Erfahrung mit der Annexion der Krim bzw. schon nach Ausbruch der ersten Konflikte um die Ostukraine, als man gesehen hat, dass Desinformationskampagnen – insbesondere von Kreml-nahen Organisationen – einen enormen Einfluss hatten auf die Östliche Partnerschaft. Und so wurde dieses Team 2016 geschaffen, das sich dann über die letzten drei, vier Jahre enorm weiterentwickelt hat. Zunächst geografisch. Wir beschäftigen uns auch mit Desinformationen in anderen geografischen Regionen. Zum Beispiel im westlichen Balkan, im südlichen Mittelmeer, im arabischsprachigen Raum. Wir analysieren auch andere Akteure, insbesondere China, und entwickeln natürlich dementsprechend Strategien, wie darauf zu reagieren ist.

DM: Was genau untersuchen Sie? Social Media, staatliche Medien?
Lutz Güllner: Wir sind keine Fact Checking Organisation, sondern wir sehen uns an, wie die Informations-Manipulation von externen staatlichen Akteuren funktioniert. Was sind die Strategien, welche Instrumente werden eingesetzt? Welche Taktiken, welche Prozeduren werden benutzt? Und deswegen haben wir auch einige eigene Instrumente entwickelt, u.a. haben wir ein spezielles Monitoring System. Aber wir nehmen nicht in Anspruch, ein umfassendes Monitoring aller Aktivitäten durchzuführen, sondern es geht um die Illustration durch Beispiele und Trends.

DM: Und wie können Sie Fake News feststellen?
Lutz Güllner: Ich muss zunächst betonen: Wir sind nicht dazu da, als letzte Instanz über wahr und unwahr, über richtig und nicht richtig zu entscheiden, sondern wir sind dazu da, aufzudecken, welche koordinierten und systematischen Aktivitäten von außen gegen die Europäische Union genutzt werden. Es geht nicht in erster Linie um den Einzelfall. Uns geht es um das Muster, um die Taktik, um die Strategie, die dahintersteht. Und da können wir natürlich einen ganz großen Unterschied sehen zwischen dem, was zum Beispiel die russischen Medien machen, der russische Staatsapparat, und was von anderen Akteuren kommt. Bei russischen pro-Kreml-Aktivitäten wird gezielt und systematisch die ganze Bandbreite an Instrumenten eingesetzt. Das sind natürlich die Staatsmedien, aber auch sogenannte Informationsportale, die manchmal gar keine echten Informationsportale sind, sondern sogar von den russischen Geheimdiensten betrieben werden, bis tief in die Sozialen Medien hinein. Wie das eingesetzt wird für außenpolitische Ziele, derzeit für militärische Ziele, darum geht es.

DM: Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Lutz Güllner: Ich will ein Beispiel aus der Zeit vor der gegenwärtigen Situation geben: Bei der Covid-19 Pandemie konnten wir sehen, dass systematisch alle Kanäle durch russische – in diesem Fall Pro-Kreml-Akteure – genutzt wurden, um das Narrativ von der “Unfähigkeit der Demokratie, mit so einer Krise umzugehen” zu verbreiten. Da wurden gefälschte Bilder benutzt oder Inhalte, die entweder sachlich falsch oder de-kontextualisiert waren. Aber es wurden auch falsche Identitäten benutzt, das heißt, Netzwerke mit Personen, die überhaupt nicht existieren. Darüber hinaus wurden Reichweiten manipuliert, um den Eindruck zu erwecken, es ginge um ein dominierendes Narrativ. Erreicht wurde das vor allem durch technische Manipulation.

DM: Bleiben wir kurz beim Beispiel Covid: Wo sehen Sie die Grenzen zwischen berechtigter Kritik und Manipulation?
Lutz Güllner: Die Grenze ist ganz deutlich. Die Grenze heißt: Kritik ist immer erlaubt, vorausgesetzt, sie ist genuin, sie ist echt, sie ist organisch. Jeder darf kritisieren. Aber die Grenze ist erreicht, wenn die Manipulation staatlich organisiert wird und bewusst eingesetzt wird, um in einem eng aufeinander abgestimmten System die öffentliche Meinung oder das staatliche Handeln oder sogar weitergehend das Vertrauen in demokratische Strukturen in anderen Ländern zu unterminieren. Das ist für uns der große Unterschied. Da trifft dann auch der Begriff “Desinformation” die Sache eigentlich gar nicht mehr, weil es nicht um Information geht, sondern um Manipulation, durch eben ausländische Akteure. Das, was uns Sorgen macht, ist, dass staatliche Akteure und manchmal auch nichtstaatliche Akteure, wie zum Beispiel der sogenannte Islamische Staat, ganz gezielt ein System entwickelt haben, das von sehr sichtbaren Medien, in dem Falle von staatlichen Medien, tief in verdeckte Operationen hineingeht, in die Sozialen Medien – um zu täuschen, um in die Irre zu führen und um zu manipulieren. Das ist ein großer Unterschied.

DM: Was machen Sie mit den gewonnenen Analysen und Informationen?
Lutz Güllner: Das erste ist tatsächlich Aufdecken, Herausfinden, Licht ins Dunkel bringen. Wir benutzen keine nachrichtendienstlichen Mittel, sondern öffentlich zugängliche Quellen – auch um zu zeigen, dass hier tatsächlich ein Problem für die gesamte Gesellschaft besteht. Das zweite ist: Wir benutzen es, um unsere eigene Widerstandsfähigkeit, unsere eigene Resilienz zu stärken. Innerhalb der EU, aber auch die von Partnern, um aus diesen Erkenntnissen abzuleiten: Wo müssen wir zum Beispiel Aktivitäten unterstützen im Bereich Medienkompetenz, im Bereich Stärkung des Journalismus, im Bereich Aufklärungsarbeit. Der dritte Bereich, auch für die Europäische Union, ist die Frage: Wie verbreiten sich diese Dinge? Und da arbeiten wir einerseits eng mit den Social-Media-Plattformen zusammen, andererseits arbeiten wir auch an Regulierungen, wie etwa dem „Digital Services Act“, der momentan auf europäischer Ebene diskutiert wird.

DM: Werden Ihre Ergebnisse veröffentlicht?
Lutz Güllner: Wir veröffentlichen jede Woche eine Art Trend Bericht. Alles, was wir behaupten in diesen Berichten, wird mit entsprechenden Links auch so versehen, dass man das auch nachvollziehen kann. Wir benutzen nicht nur unsere eigenen Erkenntnisse, wir sind ja kein Nachrichtendienst, sondern führen auch andere Erkenntnisse von zivilgesellschaftlichen Initiativen, von Forschern, von unseren internationalen Partnern zusammen und versuchen so, ein möglichst akkurates Bild der Bedrohungslage zu bekommen.

DM: Ist Ihre Organisation Teil der europäischen Cyber-Abwehr?
Lutz Güllner: Organisatorisch gehören wir nicht dazu, weil wir ein eigener Bereich sind. Aber natürlich, nachdem es da immer wieder Überschneidungen gibt, sind wir eng mit den Kollegen abgestimmt und sehen auch dieses Problem der ausländischen Desinformation bzw. ausländischen Informations-Manipulation als Teil der sogenannten hybriden Bedrohungen, denen die EU ausgesetzt ist.

Interview Marie Wildermann