InterviewWassermangel? In Deutschland?

Über Wasser und eine mögliche Wasserknappheit in Deutschland denkt hierzulande kaum jemand nach. Wasser ist so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Warum Bundesumweltministerin Svenja Schulze dennoch eine Nationale Wasserstrategie für nötig hält, erklärt sie im Gespräch mit dem Diplomatischen Magazin.


DM: Frau Ministerin, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat kürzlich angesichts des Klimawandels vor Trinkwasserknappheit in Deutschland gewarnt. Es verwies auf sinkende Grundwasserspiegel und die „Konkurrenz zur Landwirtschaft“. Aber ist Wasserknappheit in einem Land, in dem es gefühlt jede Woche mindestens einmal regnet, ein Thema?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Wenn man in Deutschland den Hahn aufdreht, sprudelt Wasser heraus. In hervorragender Qualität und scheinbar unbegrenzter Menge. Zum Trinken, zum Kochen, zum Waschen, zum Rasensprengen, zum Planschen im Garten. Wasserknappheit war lange kein großes Thema in Deutschland. Doch die letzten drei Dürrejahre stellen diese Gewissheit in Frage. Zwar steht Deutschland nicht vor einem allgemeinen Wassernotstand. Aber in letzter Zeit haben die ersten Kommunen einen Engpass erlebt. Wasserarme Regionen zeichnen sich immer deutlicher ab. Deutschland erlebt erste Anzeichen eines Verteilungsproblems, das der Klimawandel noch verschärfen wird. Das zeigt, warum eine Nationale Wasserstrategie notwendig ist. Ich will, dass es auch in 30 Jahren in Deutschland jederzeit und überall ausreichend qualitativ hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser gibt.


DM: Im Juni fand das Nationale Wasserforum statt, auf dem die „Nationale Wasserstrategie“ vorgestellt wurde. Warum ist eine solche Strategie nötig? Worin bestehen die Herausforderungen?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Der naturnahe Wasserhaushalt ist aufgrund des Klimawandels aus der Balance geraten. Viele natürliche Wasserspeicher, wie Landschaften und Böden oder auch Uferbereiche von Seen und Flussauen, erfüllen ihre Funktion nicht mehr einwandfrei. Um Ungleichheiten in der Verteilung systematisch auszugleichen, fehlen uns aber noch zentrale, standardisierte Daten darüber, wo zu welcher Zeit wie viel Wasser verfügbar ist. Hier brauchen wir mehr Forschung. Außerdem muss die Wasserqualität in vielen Teilen Deutschlands besser werden. Und der nötige Umbau der Infrastruktur muss finanziert werden. All diese Herausforderungen rund ums Wasser will ich strukturiert und frühzeitig angehen, bevor sie ein echtes Problem werden.


DM: Wie können Lösungen für die Probleme in diesen Bereichen aussehen?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Der Entwurf für die Nationale Wasserstrategie beschreibt, wo wir bis 2050 in Deutschland hinwollen. Das zugehörige Aktionsprogramm gibt vor, was wir schon bis 2030 erreichen wollen. Eine bessere Datenbasis soll uns ermöglichen, überregional zu vorherzusagen, wo es viel und wo es wenig Wasser gibt. Wenn es doch einmal in einer Region zu Wasserknappheit kommt, will ich Nutzungskonflikte mit einem bundesweiten Rahmen für Entscheidungen entschärfen. Der Bau von mehr Fernwasserleitungen und der Bau wassersensibler Städte hilft wasserarmen Regionen, keinen wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Smarte Wassertarife sollen Anreize schaffen, Wasser immer dann zu nutzen, wenn die Nachfrage gering ist. Und die neue Abwasserabgabe soll so gestaltet sein, dass kommunales und industrielles Wasser nicht mehr verschmutzt wird.


DM: Große Probleme gibt es in der Ostsee. Die Ostsee-Anrainer- Staaten haben vor Jahren die Helsinki-Kommission (HELCOM) zum Meeresschutz der Ostsee gegründet, Deutschland führt derzeit den Vorsitz. Welches sind die zentralen Umweltprobleme der Ostsee?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Es gelangen noch immer zu viele Nährstoffe aus Düngern der Landwirtschaft in die Ostsee. Durch die Eutrophierung entstehen an vielen Stellen tote Zonen im Meer. Auch die Belastung mit Schadstoffen gibt Anlass zur Sorge. Um die im Meer versenkte Altmunition aus WK I und II müssen wir uns jetzt kümmern. Der Zustand der Meeresbiodiversität in der Ostsee ist an vielen Stellen ungenügend. Wirksame Fischereimaßnahmen sollen die vom Aussterben bedrohte Schweinswalpopulation schützen. Das Programm des deutschen HELCOM-Vorsitzes setzt an diesen Punkten an.
 

DM: Die Helsinki-Kommission hatte ein ambitioniertes Programm festgelegt. Bis 2021 sollte ein „guter ökologischer Zustand der Ostsee“ erreicht werden. Davon sind wir aber offenbar noch weit entfernt?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Dieses Ziel des ersten HELCOM Baltic Sea Action Plans (BSAP) haben wir tatsächlich noch nicht erfüllt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Immerhin beim Thema Meeresmüll gibt es einige Erfolge. Eine wichtige Hürde ist das Silodenken. Oft wird Meeresschutz noch nicht mit anderen Fachpolitiken wie Verkehr, Landwirtschaft oder auch Wirtschaftspolitik zusammengedacht. Der Europäische Green Deal wird hier wichtige Impulse geben. Und im Oktober 2021 wird HELCOM unter deutschem Vorsitz einen neuen, an die aktuellen Herausforderungen angepassten Ostseeaktionsplan beschließen. Er gründet auf detaillierten Defizitanalysen und orientiert sich fachpolitisch an den aktuellen Entwicklungen.

Interview: Marie Wildermann