Business & TrendsVon der Green City zur Green Society

Der anthropogene Klimawandel stellt die gesamte Menschheit vor immense Herausforderungen. Volkswirtschaften, die bislang ohne fossile Energieträger nicht existieren können, müssen ihren CO2-Ausstoß nicht nur innerhalb kürzester Zeit erheblich reduzieren, sondern einen Weg finden, gänzlich CO2-neutral zu funktionieren. Stand zu Beginn der Dekarbonisierung primär der Energiesektor im gesellschaftspolitischen Fokus, hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine umfassende CO2-Reduktion in den Bereichen Gebäudeinfrastruktur, Mobilität und Energieerzeugung eine notwendige Bedingung für eine kohlenstofffreie Wirtschaft ist.
 

Nachhaltigkeit ist mittlerweile integraler Bestandteil nicht nur der weltweiten politischen und gesellschaftlichen, sondern vor allem auch wirtschaftlicher Planungen. Orientiert an der Definition der Brundtland-Kommission aus dem Jahr 1987 sowie den 2015 von der UN formulierten Sustainable Development Goals (SDG) spielen neben grüner Nachhaltigkeit immer stärker auch soziale und wirtschaftliche Aspekte eine Rolle.
 

Politik und Wirtschaft erkennen zunehmend die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit in alle Prozesse und Entscheidungen mit einzubeziehen. Während die Politik mit dem Fördern und Fordern von Effizienz und Verantwortung die Rahmenbedingungen für den historisch bespiellosen Wandel setzt, muss die Wirtschaft die damit verbundenen Risiken erkennen und sich ergebende Chancen für ihre Aktivitäten nutzen. Technische Innovation vor allem aus dem Digitalisierungsbereich spielt dabei insbesondere bei ökologischer Nachhaltigkeit eine Schlüsselrolle. Diese Hightech-Lösungen werden oftmals von Startups entwickelt. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich ein Blick in die Startup Nation Israel.

INNOVATIVE STARTUPS

Nach Auskunft der israelischen Nichtregierungsorganisation Start-Up Nation Central existieren alleine in Israel über 750 Technologiefirmen im Kontext GreenTech. Die Dichte an entsprechenden Startups ist auch aufgrund seiner exponierten Lage mit über 60 Prozent Wüste sehr hoch. Innovative technische Lösungen aus den Kontexten Landwirtschaft, Wasserversorgung oder Erneuerbare Energien sind für Israel unabdingbar zum Überleben. Lange Trockenperioden bis hin zu Dürren sind bereits seit der Staatsgründung 1948 ein Thema und werden im Zuge des Klimawandels zum Normalfall. Dazu wächst die Bevölkerung vor allem in den Städten auch in Israel rapide. Bis 2040 wird sich Israel zu einem der am dichtesten bevölkerten Länder weltweit entwickeln.

WASSERMANGEMENT IN ISRAEL

Insbesondere bei der effizienten Nutzung und Wiederaufbereitung von Wasserressourcen setzt Israel mit innovativen Lösungen bereits seit den 1950er Jahren Standards. Am Anfang stand die vor Ort entwickelte Tröpfchenbewässerung. Mittlerweile werden durch sekundäres, zum Teil sogar tertiäres Wasserrecyling rund 90 Prozent der Wasserressourcen für den landwirtschaftlichen und industriellen Gebrauch wiederverwendet. Gleichzeitig wird weiter daran geforscht, die landwirtschaftliche Produktion ertragreicher und zugleich ressourcenschonender zu machen. Die Startup Nation zählt dazu bereits über 400 Unternehmen, die sich explizit mit Fragestellungen im Agrar- und Wassertechnologie-Bereich beschäftigen.

BAU- UND GEBÄUDEWIRTSCHAFT: 38 % DER CO2-EMISSIONEN

Das israelische Knowhow ist nicht nur für die deutsche Landwirtschaft oder das produzierende Gewerbe, sondern auch für die Stadt von Morgen von Interesse. Smart Buildings können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die CO2-Emmissionen in unseren Städten zu reduzieren. Die digitale Steuerung, Vernetzung, Kontrolle und intelligente Automatisierung der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) sowie die damit verbundene Datensammlung und -nutzung kann uns helfen, die festgelegten Klimaziele zu erreichen. Immerhin ist die Bau- und Gebäudewirtschaft für rund 38 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.

VON DER GREEN CITY ZUR GREEN SOCIETY

Ein weiterer Bereich, in dem nachhaltige und grüne Lösungen insbesondere auch zu Zwecken der Dekarbonisierung eine bedeutende Rolle spielen ist der Mobilitätssektor. Nicht nur zum Schutze der Umwelt, sondern auch zur Steigerung der Lebensqualität. So sehr die erhöhte Mobilität von Menschen und Gütern Ausdruck eines gestiegenen Lebensstandards ist, so sehr reduziert sie gleichzeitig die Qualität durch Emissionen, insbesondere in Städten und Ballungsräumen. Die intelligente Vernetzung des Verkehrs, autonome Fortbewegung, Elektromobilität und Künstliche Intelligenz sind zentrale Schalthebel auf dem Weg zur nachhaltigen Green City beziehungsweise zur Green Society.

PROJEKT ISRAEL 2050

Israel hat wie viele Länder auf der ganzen Welt, vor allem die Mitglieder der OECD, einen strategischen Prozess eingeleitet, um seine Wirtschaft bis 2050 zu revolutionieren. Das "Projekt Israel 2050" zielt darauf ab, das Land zu einer umweltfreundlichen, wettbewerbsfähigen und florierenden Wirtschaft zu machen. Die Initiative ist eine Kooperation zwischen dem Israel Democracy Institute, dem Umweltschutzministerium, der OECD, den Ministerien für Energie, Verkehr und Wirtschaft und der Planungsverwaltung. Professionelle Teams in jeder Regierungsbehörde werden einen operativen Fahrplan zu den vier Hauptthemen vorlegen: Verkehr, Energie, Gebäude und Stadtplanung, Industriehandel und Abfall.

ZUKUNFT WASSERSTOFF

Während Israel bei der Entwicklung innovativer Methoden und Technologien für eine bessere Ressourcennutzung zweifelsohne führend ist, liegt Deutschland beim Ausbau von Erneuerbaren Energien weit vor Israel. Weniger als vier Prozent der gesamten Stromerzeugung Israels stammt bislang aus Erneuerbaren Energien. Dennoch bietet das Land beispielsweise im Kontext der deutschen Wasserstoffstrategie ein immenses Potenzial für die Dekarbonisierung unserer Energie- und Produktionswirtschaft. Als das politisch stabilste Land und die einzige Demokratie im für den Erfolg der deutschen Energiewende entscheidenden Sunbelt erfüllt Israel alle Voraussetzungen für die wirtschaftliche Produktion von grünem Wasserstoff: Klimatische Bedingungen, Fachkräfte und Investitionssicherheit.

DER EUROPEAN GREEN DEAL

Insgesamt gibt es viele Ansätze im Kontext von Umwelt- und Klimaschutz, die sowohl für Deutschland als auch für Israel weiterführend einsetzbar wären. In beide Richtungen ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel somit vielversprechend - die Beteiligung Israels am European Green Deal weist dabei bereits in die richtige Richtung. Geradezu fahrlässig wäre es dagegen, Israel nicht auch als vollberechtigten Partner beim Horizon Europe Programm mit einzubinden, dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation für 2021 bis 2027. Insbesondere in Deutschland gilt es dabei das Vergaberecht zu reformieren, um deutsche und ausländische Startups besser zu berücksichtigen. Mit dem im Juni erstmals stattfindenden Deutsch-Israelischen Green Hydrogen Forum sowie der etablierten Safe & Smart City Conference dienen bereits zwei Formate im Kontext GreenTech dem vielversprechenden Austausch von Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft beider Länder.

Artikel: Carsten Ovens