Perspectives & VoicesTop-Karriere im ARD Fernsehen

Tina Hassel ist seit fast 30 Jahren politische Journalistin, sie war ARD-Studioleiterin in Washington und leitet seit 2015 das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin. Wie sie es geschafft hat, eine Top-Karriere im Politik-Journalismus zu machen und nebenbei drei Kinder großzuziehen – darüber hat sie mit dem Diplomatischen Magazin gesprochen.
 

DM: Frau Hassel, 2001 wurden Sie, als erste Frau in der Geschichte des Senders, Chefin der Auslandsberichterstattung des WDR. 2012 übernahmen Sie die Leitung des ARD-Studios in Washington, 2015 dann die Leitung des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin, auch als erste Frau in dieser Position. Das klingt wie eine einzige Erfolgsstory. Andere Frauen im politischen Journalismus beklagen die (meist männlichen) Widerstände. In Ihrer journalistischen Karriere hat es die offenbar nie gegeben?
Tina Hassel: Oh doch. Die kamen sehr früh und recht geballt. Direkt in meiner ersten Redaktionsstelle in der WDR-Wirtschaftsredaktion. Damals gab es außer mir nur eine weitere Kollegin. Entsprechend war das Klima in der Redaktion. Wir haben schnell gelernt, dass auch Frauen netzwerken und von Anfang an klare Kante zeigen müssen: kollegial, aber mit deutlichen roten Linien. Abgesehen davon durchbricht man Männer-Rituale am besten, indem man super vorbereitet und inhaltlich bis ins Detail absolut trittsicher ist. Das ist auch bei der Kanzlerin Teil ihres Erfolgsrezepts. Rückblickend war der harte Beginn eine gute Schule für alle nachfolgenden Herausforderungen. Ich hatte damals öfters an den Song von Frank Sinatra gedacht: „If you can make it here, you can make it anywhere …“. Und das hat etwas sehr Befreiendes.
 

DM: Als sie 2012 das Angebot erhielten, das ARD-Studio in Washington zu leiten, bedeutete das ja auch gravierende Änderungen für Ihren Mann und Ihre drei Kinder, die damals wahrscheinlich noch im Grundschulalter waren. Wie hat die Familie Ihre Pläne aufgenommen und wie hat sie sich damit arrangiert?
Tina Hassel: Das war ein großer Schritt mit drei Kindern in Grundschule und Gymnasium in die USA zu gehen und sie ohne viel Sprachkenntnisse in US-amerikanische Schulen zu schicken. Am Anfang gab es da auch ab und an mal Tränen. Das Schöne ist aber, dass das anfängliche Drama dann schnell wieder verflogen ist. Nach einem Jahr wollten alle nicht mehr weg aus Washington. Als ich ein Angebot in Deutschland bekam, meinten meine Kinder, da könnte ich ja alleine hingehen, sie blieben da. Das war schön zu sehen – und wir sind dann natürlich alle geblieben.


DM: Wenn Familienväter aus beruflichen Gründen umziehen, sind es meistens die Ehefrauen, die den Umzug der Familie organisieren, die neue Schule für die Kinder etc. Wie war das bei Ihnen? Und wie schaffen Sie es – grundsätzlich gefragt – Job und Familie miteinander zu vereinbaren?
Tina Hassel: Mein Mann und ich teilen uns Kinder und die gesamte häusliche Organisation schon immer und sind da ein eingespieltes Team. Das ist eine immense Unterstützung, für die ich wirklich dankbar bin, zumal wir beide in anspruchsvollen Jobs arbeiten. In den USA hat mein Mann allerdings kürzertreten müssen, da er als Mediziner nur sehr eingeschränkt arbeiten konnte. Für einige Zeit geht das ganz gut, weil man so viel Neues entdecken und erleben kann. Auf Dauer wird das aber unbalanciert, egal wer gerade zurückstecken muss.
 

DM: Sie sind als Korrespondentin in vielen Teilen der Welt unterwegs, so wie unsere Leserinnen und Leser des Diplomatischen Magazins. Wie verhalten Sie sich in Ländern, in denen Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sind?
Tina Hassel: Zuallererst informiere ich mich über die geschriebenen und ungeschriebenen „dos and don’ts“ im jeweiligen Kulturkreis. Denn nichts ist peinlicher, als unbewusst und aus Ignoranz rote Linien zu überschreiten. Viele Vorgaben habe ich dann auf meinen Drehreisen befolgt, aus Respekt vor dem Land und seinen Traditionen. Aber ich habe auch höflich, wo immer es möglich war, erklärt, dass Frauen in meinem Kulturkreis andere Rechte haben. Und oft wird Ausländerinnen ohnehin ein deutlich größerer Spielraum eingeräumt als einheimischen Frauen. Das ist aber ein Spagat, der nicht angenehm ist.
 

DM: Seit Jahrzehnten arbeiten Sie im politischen Journalismus, haben die Karriere von Frau Dr. Angela Merkel von Beginn an mitverfolgt. Führt die Bundeskanzlerin anders als ihre männlichen Kollegen? Gibt es so etwas wie einen „weiblichen Führungsstil“?
Tina Hassel: Jede Zeit hat ihren Führungsstil. Mit Angela Merkel war die Zeit markiger Machos à la Gerhard Schröder vorbei. Wer auf „dicke Hose“ macht, punktet bei der Kanzlerin nicht, im Gegenteil. Merkel führt nüchtern, uneitel, inhaltlich bis ins Detail vorbereitet, eben ganz wie eine Wissenschaftlerin. Frauen haben es nicht so nötig, ihre Macht zur Schau zu tragen. Sie sind pragmatischer und deshalb mindestens so effizient. Das ist zumindest meine Erfahrung. Dass es nach der Ära Merkel nun aber wieder eine gewisse Sehnsucht nach mehr Leidenschaft im politischen Diskurs und einem „starken Kerl“ an der Spitze gibt, ist aber auch nicht zu übersehen.
 

Interview: Marie Wildermann