Mittelstand Herr K's Frust über Biogas

2012 ging Andreas Kellners Biogasanlage inmitten eines Gewerbegebiets im Weimarer Land ans Netz. „Das war damals zur Euphoriephase“, erinnert sich Kellner. Damals, das war das Ende der Nullerjahre dieses Jahrhunderts. Zum Vergleich: 2011 gingen 1.526 neue Anlagen ans Netz, 2019 waren es nur noch 83. Der Mittelständler verweist auf ein digitales Treffen des Fachverbands Biogas, der in Deutschland die Biogasbranche vertritt, und an dem er virtuell teilnahm. Dort teilte Präsident Horst Seide mit: „Die Biogasbranche steht aktuell für eine verlässliche und speicherbare regenerative Energieversorgung zur Verfügung. Aber wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass ab jetzt der faktische Rückbau der Biogasanlagen-Kapazität beginnt.“ Und das, obwohl die installierte elektrische Leistung des deutschen Biogasanlagenparks im vergangenen Jahr erstmals die Marke von mehr als fünf Gigawatt erreicht hat. Eine Zahl, die das Landwirtschaftsministerium (BMEL) dem Diplomatischen Magazin auch bestätigen konnte.

Generator des Blockheizkraftwerkes

In den nächsten Jahren läuft die Förderung für einen Teil der Biogasanlagen in Deutschland nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) aus, „da das Ende ihrer 20-jährigen Förderperiode erreicht ist“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. „Bis heute sind zehntausende Arbeitsplätze verloren gegangen, technisches Know-how und Innovationen mit ihnen. Es gibt einen Brain-Drain in der Biogasindustrie. Bekannte von mir sind nach Polen oder Frankreich ausgewandert, die sind da viel weiter als wir hier in Deutschland“, mahnt Kellner. Die Gründe für diese Entwicklung sieht er hauptsächlich in der Bürokratie, den vielen Gesetzen, Auflagen und Vorschriften: „Das ist mittlerweile so extrem geworden, dass sich die Landwirte das nicht mehr antun.“

Biogas für Strom, Wärme und als Kraftstoff

Mit der Biogasnutzung in Deutschland stehe man an einem Kipppunkt, meint auch Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). „Wir brauchen für neue, aber auch für alte, noch funktionstüchtige Anlagen, für die es ab 2012 keine EEG-Vergütung mehr gibt, einen fairen Marktzugang. Denn sie sind nicht nur energiewirtschaftlich relevant, sondern gerade auch für den Klimaschutz“, so Peter. Das sieht auch Kellner so. Seine Biogasanlage besteht aus zwei Blockheizkraftwerken mit jeweils einer Leistung von 1.560 Kilowattstunden. „Damit kann man 15.000 Menschen mit Strom versorgen“, sagt er. Die erzeugte Elektroenergie seiner Anlage wird schließlich auch bedarfsgerecht in die Thüringer Energienetze eingespeist.

Beim Thema Klimaschutz sieht der Unternehmer die Biogasbranche als Säule der Energiewende. Klar, die Kilowattstunde Strom in einer Biogasanlage kann niemals so günstig produziert werden wie von einem Windrad oder einer Solaranlage. Aber in der Nacht und bei Windstille kann aus diesem Gas schnell und nachfrageorientiert Strom erzeugt werden. „Wir können immer liefern, das ganze Jahr über“, sagt Kellner, „und sparen auch noch CO2 ein!“ Eine Standard-Biogasanlage mit einer Leistung von 400 Kilowattstunden pro Jahr spart rund 1.800 Tonnen CO2 im Vergleich zum Beispiel zu einem gleichgroßen fossilen Kraftwerk. Wenn also die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, könnte das Biogas locker einspringen.

In Biogasanlagen können so gut wie alle Pflanzen und landwirtschaftlichen Reststoffe wie Mist, Gülle und Pflanzenreste vergoren werden, das geschieht in sogenannten Fermentern, also Bioreaktoren – denken Sie jetzt am besten einfach wieder an die Kuh auf der Weide. Nur mit dem Unterschied, dass in den Fermentern umweltschädliche Methanemissionen vermieden werden. Mit den nährstoffreichen Gärresten etwa werden Felder in unmittelbarer Nähe gedüngt. Der Biodünger ist hygienisiert, unkrautsamenfrei und besitzt einen hohen Düngewert. Über Fernwärmeleitungen liefert Kellner auch Wärme an seine Kunden und benachbarte Firmen im Gewerbepark: „Diese Abwärmenutzung trägt wesentlich zur Erhöhung der Energieeffizienz und Rentabilität der Anlage  bei.“
Übrigens, Biomethan, ein grünes Gas, könnte auch als Kraftstoff verwendet werden, zum Beispiel, indem man es zu Bio-LNG transformiert. CO2-Emissionen bei der Nutzung von Biomethan sind 3,5 Mal niedriger als bei Diesel. Allerdings erfährt Biomethan in Deutschland eine eher stiefmütterliche Behandlung. Der Anteil von Biodiesel, -ethanol und -gas liegt im Verkehrssektor bei 5,6 Prozent. Auch diesen Punkt kann Kellner angesichts der Vorteile nicht wirklich nachvollziehen.

Quo vadis, Biogas?

„Deutschland als Industrieland braucht 24 Stunden am Tag Strom“, sagt Kellner, „wenn Deutschland clever wäre, würde es seinen eigenen Abfall in Biogas umwandeln.“ In seine Stimme legt sich dabei erneut ein resignierender Unterton. Kellner hat einen Pizzaladen, eine Schulkantine und die Messe Erfurt in der Nähe, die alle ihre Reststoffe loswerden wollen und anfragen. „Ich kann keinem den Biomüll abnehmen, weil es als Abfall deklariert wird. Eine Kartoffelschale ist Abfall.“ Biologisch betrachtet macht es keinen Unterschied, aber dieses Biogut unterliegt dem Abfallrecht. Um die Förderpraxis des EEG im Falle der Abfallgärung zu beanspruchen, müssen zudem höhere genehmigungsrechtliche Auflagen und hygienische Anforderungen erfüllt sein.
Biogas als Säule der Energiewende? Mitnichten, oder noch nicht heute. Der Anteil der Biogas-Stromerzeugung an der Bruttostromversorgung betrug 2017 4,5 Prozent. Wo die Reise des Biogases hingeht, hängt auch zum großen Teil von der EEG-Novelle ab, für die das Wirtschaftsministerium im September einen Referentenentwurf vorgelegt hat. Der Entwurf sieht vor, dass bis 2030 65 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien kommen soll. „Hier muss die Bundesregierung Perspektiven schaffen, um Klimaziele und die Ausbauziele für erneuerbare Energien zu erreichen“, fordert BEE-Präsidentin Peter. Ein Rückgang der Stromerzeugung aus Biomasse wirke den Ausbauzielen der erneuerbaren Energien im Stromsektor entgegen, so auch die Sprecherin des BMEL. Das Landwirtschaftsministerium spreche sich deshalb auch für den Erhalt des Biogasanlagenbestands aus.
Die kommende EEG-Novelle wird maßgeblich einen Einfluss auf die Entscheidung der Biogasanlagenbetreiber haben, ob sie weiter machen oder nicht. Ein nachhaltiger und ressourceneffizienter Umgang mit Reststoffen aus der Landwirtschaft und der Industrie  sollten zur Kreislaufwirtschaft und damit zur Energiewende dazugehören. So würden Landwirte profitieren, und die 40.000 Beschäftigten in der Branche und die Wertschöpfung blieben in der Region. Und vielleicht, ganz vielleicht würde dann ein zufriedenes Lächeln auf Herrn K.s Gesicht aufblitzen. Heute jedoch denkt er: „Was für ein verschwendetes Potenzial!“

TEXT Enrico Blasnik

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