Politics & StandpointsMehr als nur ein schöner Titel?

Fast jeder hat sie schon einmal gesehen – eine Welterbestätte. Die UNESCO-Liste des Welterbes umfasst mehr als tausend Kultur- und Naturstätten weltweit. Eine der größten ist die transnationale Weltnaturerbestätte der Alten Buchenwälder der Karpaten. Doch was macht eine Weltnaturerbestätte aus und was passiert nach der Auszeichnung „Welterbe“? Das Diplomatische Magazin befragte die Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Maria Böhmer.


DM: Die UNESCO-Welterbeliste umfasst 218 Naturerbestätten. Was macht ein Weltnaturerbe aus und welche Bedingungen müssen die Stätten erfüllen, um sich als solche zu qualifizieren?
Prof. Dr. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO- Kommission: Die Welterbeliste ist eine Landkarte der Vielfalt. Sie zeugt vom natürlichen Reichtum unseres Planeten und wichtigen Stationen der Menschheitsgeschichte. Allen Welterbestätten gemeinsam ist ihr außergewöhnlicher universeller Wert, also ihre besondere globale Bedeutung. Naturerbestätten zeichnen sich etwa dadurch aus, dass sie uns Einblick in wichtige Phasen der Erdgeschichte gewähren, Aufschluss geben über die Evolution von Ökosystemen oder Lebensraum für bedrohte Arten und damit ein Hort biologischer Vielfalt sind.


DM: Welche Pflichten und Auflagen müssen nach der Ernennung erfüllt werden?
Prof. Dr. Böhmer: Gemeinsamer Schutz ist die Grundidee der Welterbekonvention von 1972. Mit der Aufnahme in die Welterbeliste verbindet sich der Auftrag, den außergewöhnlichen universellen Wert einer Stätte – also das, was sie weltweit einzigartig macht – für kommende Generationen zu bewahren. Die Aufgaben reichen entsprechend von Natur- und Denkmalschutz bis hin zu Risikomanagement und Katastrophenvorsorge. Neben Schutz und Erhalt kommt der Vermittlungsarbeit vor Ort aber eine ebenso große Bedeutung zu. Weshalb ist ein Ort, eine Landschaft, ein Bauwerk für uns so wichtig? Was können wir aus seiner Geschichte lernen? Wie die Zukunft gestalten?


DM: Zuletzt wurde das transnationale Welterbe der Alten Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas durch zehn weitere Teilgebiete erweitert und umfasst nun 94 Bestandteile in 18 Ländern. Was ist das Besondere an den Wäldern?
Prof. Dr. Böhmer: Viele europäische Landschaften waren lange Zeit von Buchenwäldern geprägt. Die Rotbuche überlebte die letzte Eiszeit zurückgezogen in südlichen Gefilden und breitete sich von dort über mehrere Jahrtausende wieder aus. Vor 6.500 Jahren bedeckten Buchenwälder 40 Prozent unseres Kontinents. Der Baum eroberte die unterschiedlichsten Lebensräume von Spanien über Deutschland bis in die Ukraine. Dadurch beherbergen diese uralten und naturnahen Wälder je nach Region sehr unterschiedliche Pflanzengesellschaften und sind ein einzigartiges Reservoir genetischer Vielfalt. Nicht zuletzt ist diese Welterbestätte aber auch ein paneuropäisches Projekt, das den grenzüberschreitenden Austausch zu Monitoring, Forschung und Schutz der Wälder voranbringt. Hier wächst Europa zusammen.


DM: Inwiefern profitieren die Wälder vom Titel des Welterbes?
Prof. Dr. Böhmer: Zum einen ist der Welterbetitel ein wichtiger Schritt, um die Wälder langfristig zu bewahren. Zum anderen hat die Auszeichnung aber auch große Strahlkraft. Das touristische Interesse wächst, vom Welterbe gehen wichtige wirtschaftliche Impulse aus. Gefragt ist aber eine nachhaltige Entwicklung, die sowohl den Menschen als auch den Stätten nützt. Auch darauf hat die UNESCO ein Auge. Welterbestätten sind Orte der Begegnung und des Lernens. Sie können uns dabei helfen, die Entwicklung unseres Kontinents besser zu verstehen, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.
 

DM: Waldbrände treten vermehrt auch in Europa auf, wie es zurzeit im Mittelmeerraum der Fall ist. Sind auch die Wälder des Welterbes in Gefahr?
Prof. Dr. Böhmer: Der Klimawandel macht auch vor Welterbestätten nicht Halt, weder in Europa noch anderswo. Erst im vergangenen Jahr wüteten auf Fraser Island in Australien inmitten einer Hitzewelle verheerende Buschbrände, die seltene Flora und Fauna zerstörten. Aber auch Starkregen, Stürme und die Versauerung der Meere machen vielen Stätten weltweit zu schaffen. Denken Sie nur an das Great Barrier Reef. Die UNESCO drängt deshalb darauf, den Auswirkungen des Klimawandels entschlossener zu begegnen. Im Herbst soll die Generalkonferenz ein richtungsweisendes Strategiepapier verabschieden. Mehr Klimaschutz ist das Gebot der Stunde. Für Welterbestätten bedeutet das, Klimarisiken zu erkennen, Anpassungsstrategien zu entwickeln, aber auch den eigenen – positiven wie negativen – Einfluss auf das Klima in den Blick zu nehmen. Nur mit nachhaltigem Handeln an den Stätten vor Ort können wir die Pariser Klimaziele erreichen und unser Welterbe bewahren.s 
 

Interview: Marie Kepler