InterviewKI in Sprachassistenten

Ob Sprachassistent, Staubsaugerroboter oder Gesichtserkennung beim Smartphone – KI ist heute schon in allen Lebensbereichen angekommen. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist zu einem zentralen Treiber der Digitalisierung avanciert. Im Vergleich zu bisherigen gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen ist die Geschwindigkeit dieses Prozesses beispiellos.

DM: Herr Dr. Hecker, in welchen Bereichen ist KI sinnvoll?
Dr. Dirk Hecker: Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig digitale Infrastrukturen sind, um gesellschaftlich relevante Prozesse am Laufen zu halten, z. B. in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen oder der öffentlichen Verwaltung. Da müssen wir nachbessern und ich sehe hier viel Potenzial für KI-Systeme. So sind wir bei der Verarbeitung von Formularen in Behörden, aber auch in der Wirtschaft noch sehr durch eine manuelle Tätigkeit geprägt. Eine intelligente Dokumentenanalyse kann hier Prozesse verschlanken, damit Arbeitskräfte z. B. relevantere Tätigkeiten ausüben können. KI hilft nicht nur dabei, Dokumente mit einer hohen Güte zu gruppieren, Informationen gezielt zu extrahieren, sondern diese auch zu übersetzen.

Eines der am Markt derzeit besten Übersetzungsprogramme ist DeepL aus Köln. Sie werden überrascht sein, wie gut die Qualität inzwischen ist. Ein weiteres Beispiel ist die automatische Untertitelung von Fernsehbeiträgen für Hörgeschädigte. Dafür hat das Fraunhofer IAIS eine KI-Anwendung entwickelt, die z. B. bei der Liveuntertitelung im sächsischen Landtag eingesetzt wird. Auch die ARD nutzt unsere KI-Systeme zur Spracherkennung, um audiovisuelle Inhalte z. B. nach Zitaten durchsuchen zu können. Generell gilt: dort, wo bisher große Mengen an Daten gesammelt wurden oder künftig entstehen, können KI-Anwendungen unterstützen. Der Vielfalt der Anwendungsgebiete sind kaum Grenzen gesetzt, das Potenzial ist immens. KI hat neben kontinuierlichen Verbesserungen auch das Potenzial für echte Disruption, die etablierte Märkte gänzlich umbricht.

DM: Die Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt an vielen Instituten Schlüsseltechnologien für KI und ihre Anwendungen. Wer sind Ihre Auftraggeber?
Dr. Dirk Hecker: Die Fraunhofer-Gesellschaft ist Europas führende Organisation für anwendungsorientierte Forschung. Als Teil davon arbeiten wir am Fraunhofer IAIS einerseits an öffentlichen Forschungsprojekten, national wie EU-weit, wie z. B. aktuell das Projekt AI4EU, bei dem es um die Entwicklung eines europäischen KI-Ökosystems geht. Auf der anderen Seite arbeiten wir für Auftraggeber aus der Wirtschaft. Unternehmen wenden sich an uns, um von unserer Erfahrung zu profitieren und eigene Kompetenzlücken zu schließen: von der technischen Beratung, Know-how-Aufbau bei Mitarbeitenden bis zur Entwicklung von KI-Lösungen. Bei der Umsetzung von KI-Lösungen sind amerikanische Unternehmen global sehr präsent, wenn nicht sogar dominant. Leider ist das Rennen um die großen Internetplattformen im B2C-Bereich bereits nahezu verloren.

In vielen Branchen steht KI aber noch ganz am Anfang, insbesondere in den Industriebereichen, wo Deutschland seine Stärken hat. Hier müssen wir voranschreiten und uns auf die Stärken als Hochtechnologieland besinnen. Dazu brauchen wir KI-Ökosysteme aus Industrieunternehmen, Universitäten, Start-Ups und Einrichtungen aus der angewandten Forschung, die einen effizienten Transfer herstellen.

Mit einem ähnlichen Elan, wie einst die deutsche Ingenieurskunst als Weltmarke etabliert wurde, kann jetzt das Neuland der datengetriebenen Dienstleistungen und Geschäftsmodelle aktiv gestaltet werden. Die Vision: Präzise Hochleistungssensorik und leistungsstarke Maschinen werden mit intelligenten KI-Systemen „made in Germany“ kombiniert und weltweit exportiert. Wir haben die Chance, bestehende Märkte zu stärken und neue aufzubauen. Dafür müssen wir die Schlüsseltechnologie KI beherrschen, Fachkräfte ausbilden, attraktive Angebote für KI-Forscherinnen und -Forscher anbieten und auch immer wieder mutig sein, bestehende Prozesse neu zu denken.

DM: Auf Ihrer Webseite heißt es: „Ein Defizit eigener Kompetenzen führt zu Abhängigkeiten von Akteuren, die beispielsweise geringere Standards bei Datenschutz, Sicherheit und algorithmischer Nachvollziehbarkeit aufweisen“ Was genau ist damit gemeint?
Dr. Dirk Hecker: Es gibt kein Erfolgsrezept für Innovation, dafür Impulsgeber und technologische Fortschrittsbeschleuniger. KI-Know-how ist so ein Beschleuniger, der mit über die Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Kontext entscheidet. Wenn wir diese Kompetenz anderen überlassen, dann müssen wir damit leben, dass entscheidende Technologiemodule zukünftig nicht mehr in unserer Verantwortung und Gestaltungshoheit liegen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Datenschutzes und ethischer Werte zu sehen, für die Europa steht.

Um allerdings die digitale Souveränität und marktwirtschaftliche Unabhängigkeit in Europa zu gewährleisten, müssen Politik und Wirtschaft hierzulande noch mehr in KI-Know-how investieren. Es besteht definitiv ein Handlungsdruck, damit Deutschland auch in Zukunft den digitalen Weltmarkt mitgestalten kann.

Um nochmals die Analogie aufzugreifen: Maschinen aus Deutschland stehen für eine besondere Qualität. So wollen wir auch KI-Systeme bauen. Sie sind transparent und vertrauenswürdig in der Anwendung, laufen robust, respektieren die Sicherheitsstandards, diskriminieren nicht und wahren den Datenschutz. Dies stärkt das Vertrauen in KI-Technologien und stellt ein weiteres deutsches und europäisches Gütesiegel dar.

Mit der Fraunhofer-Gesellschaft und anderen Wissenschaftsinstituten haben wir hierzulande bereits eine leistungsfähige Forschungslandschaft im Bereich KI aufgebaut, hier können Unternehmen jederzeit andocken. Hinsichtlich der Standardisierung und vertrauenswürdigen Gestaltung von KI kommen wir in Europa ebenfalls voran. Erst jüngst haben wir bei Fraunhofer IAIS den ersten KI-Prüfkatalog als strukturierten Leitfaden bei der Gestaltung und Qualitätssicherung von KIAnwendungen vorgestellt. Ich wünsche mir, dass KI-Systeme aus Deutschland zum gleichen Exportschlager werden, wie die Maschinen unserer Ingenieurinnen und Ingenieure, die sich durch eine besondere Qualität auszeichnen.

Interview Marie Wildermann