InterviewGrün, digital, nachhaltig

Die EU unterstützt Regionen in Europa, die wirtschaftlich und sozial stark benachteiligt sind. Diese Kohäsionspolitik ist laut EU-Kommissarin Elisa Ferreira eine der erfolgreichsten Maßnahmen der Europäischen Union. Im Zuge des Green Deal und bedingt durch die Covid-Pandemie hat die EU die Förderpolitik 2021 geändert. Das Diplomatische Magazin hat darüber mit EU-Kommissarin Elisa Ferreira gesprochen.

DM: Frau Ferreira, inwiefern profitieren unterentwickelte europäische Regionen von der Kohäsionspolitik?
Elisa Ferreira: Vor einigen Jahren bezeichnete die Weltbank die EU als „Konvergenzmaschine“, weil sie in der Lage ist, die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, ihren Rückstand aufzuholen und sich dem EU-Durchschnitt anzunähern. Das Beispiel der mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, die in der großen Welle von 2004 beigetreten sind, ist eindeutig. Vor dem Beitritt lag das BIP dieser Mitgliedstaaten bei etwas über 50 % des EU-Durchschnitts; derzeit liegen die meisten von ihnen bei über 75 %.
Die Kohäsion ist nicht nur eine langfristige Transformationspolitik, sondern hat sich auch als Notfallmaßnahme bewährt, insbesondere in der jüngsten Pandemiekrise, in der eine zeitlich begrenzte, noch nie dagewesene Flexibilität (Coronavirus Response Investment Initiatives) eingeführt wurde, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Kohäsionsmittel in die am stärksten betroffenen Sektoren zu leiten. Die Kohäsionspolitik ist also eine lebendige Politik, die sich ständig an neue Gegebenheiten und Prioritäten anpasst, dabei aber ihrem zentralen Vertragsziel treu bleibt.

DM: Worin bestehen die wichtigsten Änderungen in den Förderrichtlinien?
Elisa Ferreira: Der Rechtsrahmen für den Zeitraum 2021-2027 weist mehrere Neuerungen auf. Insbesondere wird die Abstimmung zwischen den Fonds und den neuen EU-Prioritäten verstärkt, indem die Mittel auf die Umsetzung des grünen und des digitalen Wandels konzentriert werden. Diese Investitionen sind entscheidend, um ein zukunftssicheres, nachhaltiges und integratives Wachstum zu gewährleisten.
Im Rahmen der Kohäsionspolitik wurde ein neues Instrument geschaffen, der Fonds für gerechte Übergänge. Er zielt darauf ab, den Klimawandel zu begleiten, indem er die entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Kosten in den am stärksten betroffenen Gebieten abfedert. Darüber hinaus enthält der neue Rechtsrahmen auch zahlreiche und wesentliche Vereinfachungsmaßnahmen, die von den regionalen Akteuren gefordert wurden. Sie machen die Politik effizienter und senken die Verwaltungskosten, sowohl für die Endbegünstigten als auch für die Verwaltungsbehörden der Fonds. Der neue Rahmen zieht die Lehren aus der jüngsten Krise, macht die Politik flexibler und anpassungsfähiger an unvorhergesehene Ereignisse und sieht ihre systematische Überprüfung im Jahr 2025 vor.

DM: Der Fonds fördert die Innovation, unter anderem „durch die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen“. Führt dies nicht zu einer unfairen Wettbewerbsverzerrung und zum Nachteil der konventionell arbeitenden Unternehmen?
Elisa Ferreira: Das Ziel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung bei der Unterstützung produktiver Investitionen in KMU ist ganz klar: Er soll innovative Projekte in den Sektoren fördern, die in den von den EU-Regionen selbst erstellten Strategien für intelligente Spezialisierung genannt werden. Die Regionalpolitik hat eine starke territoriale Logik. Es ist wichtig, klarzustellen, dass diese Politik im Rahmen der geteilten Verwaltung durchgeführt wird, was bedeutet, dass die nationalen und regionalen Behörden die endgültige Verantwortung für die Auswahl der zu fördernden Projekte tragen. Innovation ist für eine nachhaltige Entwicklung unverzichtbar: Unternehmen, die nicht innovativ sind, könnten auf einem wettbewerbsorientierten Markt nicht überleben. Deshalb werden mit EU-Mitteln Anreize für Innovationen in KMU geschaffen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und ihnen zu helfen, in der Wertschöpfungskette aufzusteigen. Wichtig ist, dass Innovation ein breites Spektrum von Elementen umfasst und dass Unternehmen, die in traditionellen Sektoren tätig sind und über Wachstumspotenzial verfügen, ebenfalls innovativ sein können – und sollen – und von der Kohäsionspolitik unterstützt werden.

DM: Wie sieht es mit Projekten nach dem Programmplanungszeitraum 2021-2027 aus? Wenn die Finanzierung ausläuft, können auch die Projekte auslaufen. Ist das nachhaltig?
Elisa Ferreira: Die Kohäsionspolitik ist eine Investitionspolitik. Es ist wichtig zu bedenken, dass die Wirkung der Politik auch nach dem Ende der finanziellen Unterstützung anhält und somit nicht auf den Förderzeitraum beschränkt ist. Darüber hinaus können Projekte im Rahmen verschiedener Programmplanungszeiträume unterstützt werden, unter bestimmten Bedingungen können sie auch von einem Zeitraum zum anderen übergehen. Unsere Bewertungen zeigen deutlich die langfristige Wirkung der Politik, die ihr volles Potenzial erst mehrere Jahre nach Abschluss der Programme erreicht.
Technisch gesehen sind die Ausgaben für den Zeitraum 2021- 2027 bis Ende Dezember 2029 förderfähig, und die Projekte können jederzeit während dieses Zeitraums durchgeführt werden.

DM: Fast ein Drittel des gesamten EU-Haushalts – 392 Milliarden Euro – ist für die Kohäsionspolitik im Zeitraum 2021-2027 vorgesehen. Woher kommt das Geld dafür? Muss die EU dafür an anderer Stelle sparen?
Elisa Ferreira: Der EU-Haushalt (1,2 Billionen Euro) wird aus Beiträgen der Mitgliedstaaten, aus Zöllen, einem Teil der erhobenen Mehrwertsteuer und der Steuer auf nicht recycelte Kunststoffverpackungen finanziert. Die EU-Politik, einschließlich der Kohäsionspolitik, wird aus diesen Mitteln finanziert. Als Reaktion auf die Pandemiekrise und zur Unterstützung eines zukunftsorientierten Aufschwungs hat die Kommission außerdem den historischen Schritt unternommen, 750 Mrd. EUR direkt auf den Finanzmärkten zu leihen. Zur Rückzahlung dieser Mittel schlägt die Kommission neue Eigenmittel für den EU-Haushalt vor. Es handelt sich dabei um beträchtliche Beträge, die jedoch ins rechte Licht gerückt werden müssen. Der EU-Haushalt macht nur etwa 1 % des BIP der EU aus. Die nationalen Haushalte sind wesentlich höher (einige machen fast 40 % des nationalen BIP aus).
Der Anteil der Kohäsionspolitik ist im letzten EU-Haushalt weitgehend stabil geblieben und beläuft sich auf etwa ein Drittel der EU-Ausgaben. Diese Bedeutung spiegelt den Umfang der kohäsionspolitischen Herausforderungen wider. Ich möchte betonen, dass die Kohäsionspolitik die Verwirklichung mehrerer EU-Politiken und -Prioritäten ermöglicht und wesentlich zu ihnen beiträgt, von denen einige nicht oder nur in geringem Maße über ein eigenes EU-Finanzierungsinstrument verfügen. In dieser Hinsicht wurde die von den Mitgesetzgebern bewilligte Zuweisung für die Kohäsionspolitik nicht zum Nachteil anderer Politiken festgelegt.
Außerdem profitieren alle Länder und Regionen davon. Es ist eine Win-Win-Situation. Frühere Studien haben gezeigt, dass jeder investierte Euro eine Rendite von 2,74 Euro (274 %) bringt!
Und schließlich ist es ein greifbarer Ausdruck der EU-Solidarität. Schauen Sie sich um und Sie werden ganz sicher ein Krankenhaus, eine Schule, eine Brücke oder ein Unternehmen finden, das von der Kohäsionsförderung profitiert hat. Es ist eine Politik, die echte Veränderungen und einen Mehrwert für unsere Bürgerinnen und Bürger bringt.

Interview Marie Wildermann