Politics & StandpointsGibt es einen weiblichen Führungsstil, Frau Dreyer?

Malu Dreyer ist Ministerpräsidentin von Rheinland- Pfalz. Seit 2013. Im März ist sie mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden. Das Diplomatische Magazin hat mit ihr über Werte, Erziehung und ihre politische Heimat gesprochen und sie gefragt, ob es eine „weibliche“ Politik gibt.
 

DM: Frau Ministerpräsidentin, Sie haben zunächst unter anderem katholische Theologie studiert. Wie entstand Ihr Interesse an der Politik?
Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Ich komme aus einem sehr politischen Elternhaus; mein Vater war in der Kommunalpolitik aktiv und bei uns zu Hause wurde sehr viel und sehr lebhaft über politische Themen diskutiert. Das hat mich geprägt und dazu geführt, dass ich mich schon sehr früh für Politik interessiert habe. Ich habe mich auch schon sehr früh engagiert, zum Beispiel bei Amnesty International oder in der Frauen- und Mädchenarbeit.
Eines meiner Herzensthemen ist – seit ich denken kann – das Thema Gerechtigkeit. Viele Mädchen meiner Generation konnten nicht Abitur machen und studieren, weil sie nach Meinung ihrer Eltern ohnehin heiraten würden. Das fand ich schon als junges Mädchen sehr ungerecht und es hat sicherlich meine Einstellung zum Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern stark geprägt. Zum Glück war meinen Eltern dieses Denken absolut fremd. Sie haben meine Schwester und mich und meinen Bruder gleichermaßen gefördert. Ich habe daher auch meine politische Heimat in der SPD gefunden: Die sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind für mich die Grundvoraussetzungen eines guten Lebens.
 

DM: Wie schaffen Sie es, trotz Ihrer MS-Erkrankung an „vorderster Front“ zu stehen?
Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Die Krankheit MS hat viele Gesichter. Ich habe das Glück, dass sie sich bei mir ausschließlich in einer eingeschränkten Mobilität äußert, und darauf habe ich mich gut eingestellt. Bevor ich Ministerpräsidentin wurde, war ich über zehn Jahre Sozialministerin in diesem Land, davor war ich Sozialdezernentin in Mainz und Bürgermeisterin in Bad Kreuznach. Alle diese Ämter waren mit sehr viel Arbeit und auch Stress verbunden; das bereitet mir keine Probleme, denn ich habe schon immer sehr viel gearbeitet.
Ich bin von Natur aus Optimistin und so sehe ich auch meine Erkrankung. Sie ist Teil meines Lebens. Ich habe sie in mein Leben integriert, ich richte mich aber nicht nach ihr. Der Schlüssel ist für mich: Wenn man aufhört, eine Erkrankung zu bekämpfen, wird sie ein Bestandteil des Lebens, ohne dass sie ständig ein Thema ist. Sie frisst nicht mehr die ganze Energie. Es geht darum, mit ihr zu leben. Dann vergisst man irgendwann, dass man krank ist. Aber ich denke auch, dass ich durch die Krankheit eine große Achtsamkeit entwickelt und gelernt habe, was wirklich wichtig für mich ist.


DM: Führen Sie anders als Ihre männlichen Kollegen? Gibt es so etwas wie einen „weiblichen“ Politikstil?
Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Ich pflege einen kommunikativen, teamorientierten Führungs- und Politikstil, der vor allem darauf abzielt, die Stärken von Menschen zur Geltung zu bringen. Ich habe jedoch Schwierigkeiten mit Kategorien wie ‚weibliche‘ und ‚männliche Politik‘. Sie sind meist mit Zuschreibungen verbunden, die mir zu klischeehaft sind. Ein Beispiel: Es wird oft gesagt, Frauen hätten mehr Einfühlungsvermögen und seien kommunikativer als Männer. Mein Eindruck ist, dass dies sehr viel auch mit Rollenzuschreibungen und vielleicht auch mit Erziehung zu tun hat. So nehme ich heute sehr viele, vor allem jüngere Männer als sehr kommunikativ und empathisch wahr.
Was man aber sicher sagen kann ist, dass Männer noch sehr viel besser darin sind, Netzwerke zu knüpfen und sich gegenseitig zu fördern. Das Ergebnis ist, dass es immer noch ein großes Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen und Spitzenämtern gibt. Das gilt auch für die Politik. Für mich ist es daher ein zentrales Anliegen, Frauen in allen Bereichen zu fördern und zu unterstützen. Mein paritätisch mit Frauen und Männern besetztes Kabinett in Rheinland- Pfalz steht für diesen Politikansatz.
 

Interview: Marie Wildermann