InterviewEuropäische Werte und grüne Geldpolitik

Die Deutsche Bundesbank ist die Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist eine eigenständige und politisch unabhängige Institution. Als Teil des Eurosystems sichert die Bundesbank – gemeinsam mit den übrigen nationalen Zentralbanken im europäischen Währungsgebiet sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) – die Geldwertstabilität im Euro-Raum. Präsident der Deutschen Bundesbank ist Dr. Jens Weidmann. Mit ihm sprach Sven Lilienström, Gründer der „Initiative Gesichter der Demokratie“, über europäische Werte, Demokratie und grüne Geldpolitik.


Sven Lilienström: Herr Dr. Weidmann, welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Dr. Jens Weidmann: Wir sollten uns hin und wieder bewusstmachen, was für ein Glück es ist, in einer Demokratie zu leben. Umso wichtiger ist es, die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen. Für mich persönlich bedeutet Demokratie, dass ich mit beeinflussen kann, wie sich unser Land in Zukunft entwickelt: mit meiner Stimmabgabe bei der Wahl, aber auch durch Engagement als Bürger. Und als Notenbanker ist es mir wichtig, meinen gesetzlichen Auftrag eng auszulegen. Denn die Unabhängigkeit der Notenbank geht Hand in Hand mit einem eingegrenzten Mandat – sonst würden demokratische Rechte ausgehöhlt.


Sven Lilienström: Warum brauchen wir die Bundesbank?
Dr. Jens Weidmann: Die Bundesbank steht für Stabilität in Deutschland und Europa. Als größte Notenbank im Eurosystem trägt sie wesentlich zu einem stabilen Euro bei. In Deutschland leistet sie ihren Teil für ein stabiles Finanzsystem. Und sie arbeitet daran mit, dass der Zahlungsverkehr reibungslos funktioniert.


Sven Lilienström: Wie sieht Ihre Vision für ein geeintes Europa aus?
Dr. Jens Weidmann: Ich habe in Frankreich und Deutschland studiert und dabei auch zeitweise bei der Banque de France gearbeitet. Viele in meinem Freundeskreis kommen aus anderen europäischen Ländern oder leben dort. Und schließlich bin ich Teil des Entscheidungsgremiums einer wichtigen europäischen Institution, der EZB. Europa ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt, mehr als wirtschaftlicher Wohlstand. Es ist ein Kontinent, der seinen Menschen viele Möglichkeiten eröffnet. Ganz praktisch kann Europa das Leben der Bürgerinnen und Bürger verbessern – durch gemeinsame Lösungen etwa beim Klimaschutz oder bei Fragen der äußeren Sicherheit. Dabei ist es wichtig, dass die demokratischen Strukturen gewahrt werden. Denn Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit prägen Europa als Friedens- und Wertegemeinschaft.


Sven Lilienström: Notenbanken gehören zu den entscheidenden Akteuren der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wieviel politischen Einfluss haben die unabhängigen Notenbanken auf die Politik und umgekehrt?
Dr. Jens Weidmann: Die Unabhängigkeit wurde uns gewährt, um frei von politischen Einflüssen für stabiles Geld sorgen zu können. Im Gegenzug wurde unser Mandat auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität zugeschnitten. Wir dürfen nicht eigenständig andere Ziele verfolgen oder eine aktive Rolle in anderen Politikbereichen spielen. Das sind Entscheidungen, die Regierungen und Parlamente treffen müssen – ohne Einmischung der Notenbanken. Der gegenseitige Einfluss hat also klare Grenzen, die es zu respektieren gilt, zum Beispiel beim Klimaschutz.


Sven Lilienström: Stichwort „Grüne Geldpolitik“. Die demokratische Legitimation der Notenbanken beschränkt sich darauf, die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Dennoch soll die EZB immer „grüner“ werden. Wie soll das gehen?
Dr. Jens Weidmann: Der EZB-Rat hat im Juli beschlossen, Klimaschutzaspekte stärker in seinen geldpolitischen Handlungsrahmen einfließen zu lassen. Der Klimawandel und der Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft können die Preisaussichten beeinflussen und das Risiko von Vermögenswerten in unserer Bilanz ändern. Beides ist für stabile Preise bedeutsam. Deshalb bauen wir unsere Analysekapazitäten aus, fordern die Offenlegung notwendiger Informationen und verbessern unser Risikomanagement. Aber das sollte nicht mit einer eigenen Klimapolitik verwechselt werden. Es steht uns nicht zu, Ergebnisse der demokratischen Willensbildung von Parlamenten und Regierungen zu korrigieren oder vorwegzunehmen.
 

Sven Lilienström: „Next Generation EU“ – Zur Überwindung der Corona- Pandemie hat die Europäische Union einen Wiederaufbaufonds im Umfang von 750 Milliarden Euro aufgelegt. Ist das ein erster Schritt hin zur Fiskalunion?
Dr. Jens Weidmann: Die Staaten haben entschieden, sich in der Krise finanziell beizustehen. Dabei wird der Fonds durch eine gemeinsame Verschuldung finanziert. Eine außergewöhnliche Situation wie die Pandemie kann dies ausnahmsweise rechtfertigen. Allerdings ist eine dauerhafte Verschuldung auf europäischer Ebene im derzeitigen Ordnungsrahmen der Europäischen Union nicht vorgesehen. Gemeinsame Verschuldung erfordert gemeinsame Kontrolle, wenn wir die Europäische Union als Stabilitätsunion erhalten wollen. Dazu müssten die Mitgliedstaaten nationale Kompetenzen an die europäische Ebene abtreten. Eine Fiskalunion darf aber nicht durch die Hintertür eingeführt werden. Wir brauchen eine offene Diskussion in der Gesellschaft und in den Parlamenten, wie Europa gestaltet werden soll.
 

Das Interview wurde geführt von Sven Lilienström, Gründer der „Initiative Gesichter der Demokratie“ und erschien zuerst auf www.faces-of-democracy.org

Wir danken Sven Lilienström und der „Initiative Gesichter der Demokratie“ für die Übernahme großer Teile des Gesprächs durch das Diplomatisches Magazin.

ÜBER DIE INITIATIVE  - GESICHTER DER DEMOKRATIE

Die Initiative Gesichter der Demokratie befindet sich im fünften Jahr ihres Bestehens. Getragen wird sie von über 100 prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft sowie von 1 Million Unterstützerinnen und Unterstützer - darunter Staats- und Regierungschefs, Friedensnobelpreisträger, die Chefredakteure führender Leitmedien, Vorstandsvorsitzende global agierender DAX-Konzerne. Es wurden u.a. Interviews geführt mit: Stef Blok, Außenminister der Niederlande; Wolfgang Bosbach, CDU-Innenexperte; Tom Buhrow, Vorsitzender der ARD; Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen- Anhalt; Dr. Irfan Ortac, Vorsitzender des Zentralrats der Jesiden in Deutschland; Boris Palmer, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen; Prof. Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung; Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts; Joshua Wong, Gesicht der Demokratiebewegung in Hongkong u.v.a.m.