EU-Klimaneutralität Reichen integrierte Energiesysteme und Wasserstoff aus?

Die erste Strategie soll den Übergang zu einem Energiesystem als Ganzes – sektorübergreifend, infrastrukturübergreifend und unabhängig von Energieträgern – ermöglichen. Bisher gibt es verschiedene parallel verlaufende Energiesysteme, in denen spezifische Energieressourcen mit bestimmten Sektoren verknüpft sind. Es bestehen separate Wertschöpfungsketten, Regeln, Infrastrukturen. So werden beispielsweise Kohle und Gas hauptsächlich zur Produktion von Elektrizität und Wärme verwendet, während erdölbasierte Produkte vor allem im Transportsektor und als Rohstoffe für die Industrie verwandt werden. Die jeweiligen Sektoren unterliegen unterschiedlichen Marktregeln. Strom- und Gasnetze werden unabhängig voneinander gemanagt. Diese getrennten, nebeneinander laufenden Systeme sind ineffizient und kostenintensiv.

Wird das Energiesystem als Ganzes betrieben, unter Verbindung der verschiedenen Energieträger, Infrastrukturen und Verbrauchssektoren, steigt nach Überzeugung der Experten die Effizienz bei gleichzeitiger Senkung der Kosten für die Allgemeinheit. Ein integratives Energiesystem gilt als Schlüssel, um die im Pariser Abkommen festgesetzten Klimaschutzziele zu erreichen – mit möglichst geringer finanzieller Belastung für Verbraucher und die öffentliche Hand. Die Energieeffizienz hat hierbei oberste Priorität, denn damit wird nicht nur der gesamte Energiebedarf gesenkt, sondern es werden auch die damit verbunden Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima verringert. Ein entscheidender Vorteil sind die stetig sinkenden Kosten für erneuerbare Energien.

Ein Beispiel für die Erzeugung von Energie aus Wasserstoff-Brennstoffzellen

Die Strategie der Europäischen Kommission sieht drei Grundpfeiler für die Realisierung vor: Der erste Aspekt ist die Organisation der Energiesysteme in einer Art Kreislaufwirtschaft, um eine höhere Energieeffizienz zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise die Wiederverwendung überschüssiger Wärme aus Industrieanlagen oder Rechenzentren. Geplant ist auch eine optimierte Nutzung lokaler Energiequellen in Gebäuden und Gemeinden.

Zudem soll die direkte Elektrifizierung der Endabnehmersektoren vorangetrieben werden. Da der größte Teil der erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung verwendet wird, ist es sinnvoll, so viele Endabnehmersektoren wie möglich auf Elektrizität umzustellen. Dies gilt insbesondere für Wärmepumpen in Gebäuden, Fahrzeuge im Transportwesen oder Öfen in bestimmten Industriezweigen. In schwierig zu elektrifizierenden Bereichen liegt der Fokus hingegen auf sauberen Treibstoffen wie Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen, nachhaltigen Biotreibstoffen und Biogas.

Auch die Verbraucher sollen eine aktive Rolle beim Übergang zu einem dekarbonisierten Energiesystem spielen. Verständliche und leicht zugängliche Informationen werden ihnen ermöglichen, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen, die Gewohnheiten beim Energieverbrauch zu ändern und Kenntnisse über die besten technischen Optionen zu erhalten.

Die Wasserstoffstrategie

Mit der Umsetzung der Strategie wird auch die Abhängigkeit der EU von Energieimporten deutlich zurückgehen. Zurzeit werden noch etwa 58 Prozent des Bedarfs durch Importe, zumeist Öl und Gas, gedeckt. Allerdings sollen eben diese fossilen Energieträger auch schrittweise abgeschafft werden. Gleichzeitig mit der Strategie zur Integration von Energiesystemen hat die Europäische Kommission auch eine Wasserstoffstrategie vorgestellt. Bei der Suche nach alternativen zu insbesondere fossilen Energieträgern steht auch Wasserstoff zunehmend im Fokus. Das Gas ist vielseitig einsetzbar – als Ausgangsmaterial, Treibstoff oder Energieträger in der Industrie, im Transportsektor oder im Baugewerbe.

Der entscheidende Vorteil: Es wird keinerlei CO2 ausgestoßen und die Luftverschmutzung ist sehr gering. Bisher spielt Wasserstoff allerdings nur eine untergeordnete Rolle – und er wird immer noch größtenteils aus fossilen Quellen gewonnen, wie etwa aus Gas oder Kohle. Dadurch werden allein in der EU jährlich 70 bis 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen, was für das Erreichen der ambitionierten Klimaschutzziele nicht förderlich ist.

Die Wasserstoffstrategie zielt hingegen auf den Einsatz von erneuerbarem Wasserstoff ab, das heißt, Wasserstoff, der durch die Elektrolyse von Wasser gewonnen wird – mittels Elektrizität aus erneuerbaren Energien. In einer Übergangsphase ist aber auch kohlenstoffarm produzierter Wasserstoff eine Option. Eine saubere Wasserstoffwirtschaft soll in drei Schritten erreicht werden: In einer ersten Phase, bis 2024, soll die Wasserstoffproduktion dekarbonisiert werden. Für die zweite Phase ist vorgesehen, den Gebrauch von Wasserstoff in weiteren Sektoren wie etwa der Stahlerzeugung oder dem Transportwesen einzuführen. In der dritten Phase, zwischen 2030 und 2050, sollen erneuerbare Wasserstofftechnologien großflächig in allen schwer zu dekarbonisierenden Sektoren angewandt werden. Dazu gehören bestimmte Industriebranchen wie etwa die Stahlproduktion, aber auch Schwerlasttransporte, Binnenschifffahrt, Seefahrt auf kurzen Strecken oder aber Stadtbusse und Züge. Als kohlenstofffreier Energieträger könnte Wasserstoff auch für den Transport erneuerbarer Energien über weite Strecken oder zur Speicherung großer Energiemengen verwendet werden.

Um die großflächige Nutzung von Wasserstoff zu ermöglichen, ist eine entsprechende Infrastruktur unerlässlich. Wasserstoff kann sowohl über Pipelines als auch über nicht netzwerkgebundene Transportmittel wie Tankwagen oder Schiffe befördert werden – sei es in gasförmiger oder flüssiger Form, oder gebunden in größeren Molekülen, die leichter zu transportieren sind, beispielsweise Ammonium oder organische flüssige Wasserstoffträger.

Die European Clean Hydrogen Alliance

Da das Interesse an sauberem Wasserstoff weltweit zunimmt, kommt der Wasserstoffstrategie auch eine erhebliche internationale Bedeutung zu. Es ergeben sich neue Perspektiven für die Kooperation der EU mit Nachbarstaaten, aber auch mit internationalen Partnern im Bereich des Energiesektors. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich ein internationaler Wasserstoffmarkt entwickelt, und die Wasserstoffstrategie kann dazu beitragen, dass die EU hier konkurrenzfähig ist.

Zur Umsetzung der Wasserstoffstrategie soll auch die European Clean Hydrogen Alliance dienen, die zusammen mit den beiden Strategien vorgestellt wurde. Diese Allianz bringt Stakeholder aus Industrie, lokalen und nationalen Behörden sowie private Akteure, die mit Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen oder kohlenstoffarmem Wasserstoff arbeiten, zusammen. Sie soll eine entscheidende Rolle in der praktischen Umsetzung der Wasserstoffstrategie spielen.

Mit der geplanten Klimaneutralität bis 2050 verfolgt die Europäische Union ein äußerst ambitioniertes Ziel. Zu schaffen ist dies nur, wenn alle eingebunden werden – die Mitgliedstaaten, aber auch die Verbraucher. Einheitliche oder zumindest weitestgehend harmonisierte Regeln sind ein erster Schritt. Aber auch bei der Umsetzung müssen alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten. Sonst bleiben der Energiekreislauf und mit Wasserstoff betriebene Autos Zukunftsmusik. Und die Öl- und Gasreserven sind endlich. Dessen sollten sich alle Verhandlungspartner bewusst sein.

Über die Autorin:

Dr. Béatrice Schütte studierte Jura in Hamburg und Bordeaux. Ihre Promotion schloss sie an der Universität Aarhus im Jahr 2014 ab. Ihre Hauptforschungsschwerpunkte sind Rechtsvergleichung, Haftungsrecht, Internationales Privatrecht und EU-Recht. Außerdem liebt sie Fremdsprachen.