DIW-Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert Sie können die Kostenwahrheit doch gar nicht ertragen

DM: Frau Dr. Kemfert, was muss heute entschieden und getan werden, dass erneuerbare Energien so erschwinglich sind, dass es sich nicht mehr rentiert, Öl und Gas aus der Erde zu fördern?

Prof. Dr. Claudia Kemfert: Die gute Nachricht ist: Die erneuerbaren Energien sind heute schon viel preiswerter als jegliche fossile Energien, erkennbar daran, dass global gesehen deutlich mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile Energien fließen. Die schlechte Nachricht ist aber: Fossile Energien werden fast überall noch subventioniert und durch vielerlei Vorgaben bevorteilt, derartige umweltschädliche Subventionen sind enorm hoch und werden oftmals heimlich gezahlt. Zwar vereinbaren die internationalen Staatenlenker regelmäßig den Abbau umweltschädlicher fossiler Subventionen, in der Realität passiert es jedoch kaum. Selbst in Deutschland gibt es eine lange Liste mit umweltschädlichen Subventionen von jährlich bis zu 58 Milliarden Euro, angefangen beispielsweise vom Dieselsteuerprivileg, Pendlerpauschale bis zu fehlender Kerosinsteuer. Schlimmer noch: Konventionelle Energien werden im Übermaß bevorteilt, erneuerbare Energien benachteiligt. Wir benötigen endlich Kostenwahrheit, die die wahren Kosten der Umwelt- und Klimazerstörung einpreist. Nur dann kommen wir zu einem echten fairen Wettbewerb. Und dann werden sich die erneuerbaren Energien endlich überall durchsetzen.

„Weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz", heißt der Fahrplan für Deutschlands zukünftige Energieversorgung. Wie kann man andere Länder davon überzeugen, denselben Pfad einzuschlagen?

In erster Linie durch Ökonomie: Wenn erneuerbare Energien und das Energiesparen billiger sind als konventionelle Energien, gibt es keinen Grund mehr, in sie zu investieren. Dabei sind jegliche Investitionen in fossile Energien, wie beispielsweise auch die Förderung von Erdgaspipelines, stranded investments, gestrandeten Investitionen. Wir sind inmitten fossiler Energiekriege, ablesbar in Konflikten zur Ölförderung und mittlerweile auch bei der Gasförderung und Transport. Die USA sind seit einiger Zeit leider Treiber derartiger Entwicklungen, indem sie ihre eigenen fossilen Energien der Welt aufzwingen wollen, wie es der Gaskonflikt um die russische Gaspipeline und dem US-Flüssiggas anschaulich erzählt. Daher ist es so wichtig, sich davon unabhängig zu machen, um sich diesen unnötigen Risiken nicht mehr auszusetzen. Die Energiewende samt erneuerbare Energien und Energiesparen ist das beste Friedensprojekt, das wir weltweit haben: Es macht unabhängig von fossilen Energiekriegen durch die Stärkung der heimischen Energieversorgung, die dezentral ist und so auch noch die Wirtschaft und Demokratie stärkt.

Das DIW Berlin arbeitet derzeit am Forschungsprojekt „CoalExit". Können Sie uns ein wenig darüber verraten?

Zusammen mit der TU Berlin erforschen wir die Möglichkeiten und Wirkungen des Kohleausstiegs auf die Energiewirtschaft, Energieversorgung, Beschäftigung und den Strukturwandel, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern in Europa oder der Welt. So hat ein Kohleausstieg in Europa beispielsweise durch einen sinkenden Kohleimport Auswirkungen auf Kohleförderländer in Südamerika, wie etwa Kolumbien. Wie es gelingen kann, dass auch diese Länder einen dauerhaften und nachhaltigen Wandel ermöglichen, ist ebenso Teil unserer Forschungen. Ein wesentlicher Fokus liegt jedoch einerseits in der Erforschung des Kohleausstiegs in Deutschland und Europa und die daraus resultierenden Entwicklungen auf dem Energiemarkt hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Andererseits analysieren wir die Potenziale eines klugen Strukturwandels in den betroffenen Regionen, Möglichkeiten für Beschäftigte, Unternehmen sowie Forschung und Entwicklung. Dass sich beispielsweise ausgerechnet ein Kalifornischer Autobauer in einer Region mit viel Wind- und ohne Kohleenergie ansiedelt, ist dabei kein Zufall. Ein derartiger Strukturwandel samt Innovationen, neuen Jobs und neuer Unternehmen wird erforscht und Empfehlungen zur Verbesserungen der Rahmenbedingungen im Forschungsprojekt erarbeitet.

Es wird geschätzt, dass alleine auf europäischer Ebene zusätzliche Investitionen in Höhe von jährlich 180 Milliarden Euro notwendig sind, um  die europäischen Klima- und Energieziele bis 2030 zu erreichen. Können Staaten direkten Einfluss auf die Nachhaltigkeit von Investitionsentscheidungen nehmen?

Ja, durchaus! Im Rahmen des Green New Deal zur Umsetzung der Klimabeschlüsse und Nachhaltigkeitsziele in Europa spielen nachhaltige Geldanlagen samt Kriterien für das nachhaltige Finanzwesen eine zentrale Rolle. Die Finanzierungen und Investitionen müssen sich somit an streng sozial-ökologisch-ethischen Prinzipien orientieren, wie es die ESG-Kriterien – „Environment", „Social", „Governance" – vorsehen. Die explizite Auslegung und Umsetzung in die nachhaltige Finanzwirtschaft wird derzeit erarbeitet. Fakt ist, dass immer mehr Geldinstitute und Anleger ihre Finanzen „dekarbonisieren“ und der Markt der grünen Geldanlagen boomt. Es ist enorm wichtig, dass endlich die wahren Risiken von fossiler Energien samt Umwelt- und Klimaschäden berücksichtigt und eingepreist werden. Nur so wird eine so genannte „Carbon Bubble" vermieden, die eine mögliche Abwertung einer „Kohlenstoffblase" durch effektiven Klimaschutz bedeutet, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Dann müsste eine Art „Carbon Bad Bank" die toxischen Geldwerte auffangen, was eine enorme Finanzkrise zur Folge hätte. Daher ist es so wichtig, frühzeitig echte Kostenwahrheit zu integrieren und so den notwenigen Umbau hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaftswelt umzusetzen.

Die Energiewende in Deutschland werde nur als „Gemeinschaftswerk" gelingen, sagte kürzlich der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann. Würden Sie zustimmen, dass diese Aussage jetzt mehr denn je auch für die Weltgemeinschaft gilt?

Das „Gemeinschaftswerk" innerhalb Deutschlands ist enorm wichtig, da es bisher zahlreiche Kräfte gab, die sich dem Umbau widersetzt haben. Dies ändert sich glücklicherweise mehr und mehr, da endlich erkannt wird: Die Energiewende bringt enorme wirtschaftliche Chancen! Es können alle profitieren: die Kommune, die finanziell beteiligt wird, die Stromkunden von attraktiven Energiepreisen – wenn die gesunkenen Kosten an die Verbraucher weitergegeben werden –, die beteiligen Unternehmen sowie die Umwelt und das Klima, die durch vermiedene Schäden ebenso profitieren. Die Energiewende ist somit ein Win-win-win-Projekt für alle Beteiligten des umfassenden Gemeinschaftswerks. Die Energiewende ist eine Bürgerenergiewende mit den „4 Ds": dezentral, demokratisch, digital und dekarbonisiert. Dies wird auch im Rest der Welt erkannt, Deutschland ist im weltweiten Energiewende-Ranking schon lange nicht mehr vorn, viele Länder machen sehr viel mehr. Ein gesunder Wettbewerb um die besten Ideen und den schnellsten Weg ist jedoch wunderbar! Dann kann Deutschland ja auch wieder aufholen. Das schaffen wir!

INTERVIEW Enrico Blasnik