Algeriens Botschafter Aouam Algerien - Aufsteiger in der Sonnenenergie

„Wir sind nicht bei der Entwicklung erneuerbarer Energien zurückgeblieben, wir streben danach, eine lokale industrielle Basis von erneuerbarer Energie zum Vorteil für das Land zu entwickeln“, so der ehemalige algerische Energieminister Mustapha Guitouni im April 2018. Herr Botschafter, was hat sich seitdem in Algerien getan?

Taghit, Algerien

Die erneuerbaren Energien in Algerien erleben eine echte Dynamik, die sich neben dem Bau von Infrastrukturen für die Stromerzeugung auch durch die Produktion von Anlagen und Komponenten für die Solarenergie zeigt. Viele öffentliche und private Unternehmen haben in diese Nische investiert und eine noch nicht entwickelte Industrie in diesem Bereich geschaffen.
Das vom Staatspräsidenten Abdelmadjid Tebboune eingeführte neue Modell des Wirtschaftswachstums begünstigt Investitionen in Sektoren mit hoher Wertschöpfung wie erneuerbare Energien, was einheimischen und ausländischen Investoren enorme Chancen bietet.
Es sei darauf hingewiesen, dass Algerien „ein nationales Programm für erneuerbare Energien“ aufgelegt hat, mit dem Ziel, bis 2030 eine Stromerzeugung von 22.000 Megawatt (MW) zu erreichen und 27 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. Dies ist eine nationale Priorität, die einem regelmäßigen Monitoring und einer Aktualisierung unterliegt.
Man muss auch wissen, dass im Energiemix Algeriens die Solarenergie immer mehr privilegiert wird, sowohl für den industriellen Sektor als auch für den Hausgebrauch. In abgelegenen Gebieten, die noch keinen Zugang zu Elektrizität haben, werden dringende Maßnahmen zur Installation von Sonnenkollektoren gestartet, obwohl der nationale Stromversorgungsgrad im Jahr 2018 98 Prozent betrug.

Bis heute sind 22 Kraftwerke in Betrieb genommen worden, darunter 21 Photovoltaikanlagen und ein Windkraftwerk mit einer Gesamtleistung von 354 MW. Zwei im Jahr 2018 gestartete Projekte sollen in Kürze mit der Produktion von 200 MW photovoltaischer Elektrizität beginnen, während die Ölgesellschaft Sonatrach gegen Ende des laufenden Jahres 80 Prozent des Bedarfs ihrer Ölstandorte, das heißt 1.300 MW produzieren dürfte. Sonatrach ist seit April 2020 in Partnerschaft mit dem Unternehmen Sonelgaz für die Produktion von 4.000 MW Strom aus erneuerbaren Energien bis 2024.

Die zwischen 2011 und 2020 tatsächlich installierten Kapazitäten belaufen sich auf etwa 2000 MW, also fast neun Prozent der für 2030 geplanten 22.000 MW. In unmittelbarer Zukunft sollen sieben Solarkraftwerke in den südlichen Regionen des Landes gebaut werden. Dieser Vorgang wird ausschließlich mit lokal hergestellten Anlagen durchgeführt, was eine große Marktlücke für die Vergabe von Unteraufträgen eröffnet.
Im Mai 2020 wurde zudem ein „Megaprojekt“ für photovoltaische Solarkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 4.000 MW bis zum Jahr 2024 mit geschätzten Kosten von 3,6 Milliarden Dollar gestartet.

Welches Potenzial an erneuerbaren Energien gibt es heute in Algerien?

Aufgrund ihrer geographischen Lage und der Tatsache, dass die Sahara zwei Drittel des algerischen Territoriums ausmacht, ist die Sonnenenergie die wichtigste erneuerbare Energiequelle, zu der andere Quellen wie Windkraft, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft hinzukommen.
Die durchschnittliche Sonnenscheindauer über fast dem gesamten Territorium schwankt zwischen 2.600 und 3.500 Stunden im Jahr. Die jährlich gewonnene Energie liegt jährlich zwischen 1.700 und 2.600 Kilowattstunden.
Was die geothermische Energie anbelangt, so gibt es derzeit mehr als 200 heiße Quellen. Das hydraulische Potenzial wird durch mehr als 50 in Betrieb befindlichen Staudämmen repräsentiert. Unterstützt wird dieses natürliche Potenzial durch hoch entwickelte Infrastrukturen, insbesondere im Transportwesen, und durch ein großes qualifiziertes Arbeitskräftepotenzial, aber auch durch einen nationalen und regionalen Markt, der schnelle rentable Investitionen ermöglicht.

Was erhoffen Sie sich von der Energiepartnerschaft mit Deutschland?

Deutschland ist ein historischer Partner bei der Industrialisierung Algeriens. Ein Teil der industriellen Basis meines Landes ist mit deutschen Partnern aufgebaut worden, von denen viele noch immer auf dem algerischen Markt aktiv sind. Es besteht also eine gute gegenseitige Kenntnis und ein Vertrauenskapital, das neue Kooperationen, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz ermöglicht.
Es besteht bereits ein bilateraler Regierungsmechanismus, der für die „algerisch-deutsche Energiepartnerschaft“ zuständig ist. Es ist realistisch und sicherlich für beide Seiten vorteilhaft, dass diese Partnerschaft auch dazu führen wird, dass sich deutsche Unternehmen an Investitionen in diesem Sektor beteiligen, wo wir ein großes Interesse von zahlreichen anderen Partnern feststellen.

Es ist ein Grund, sich über die Wiederaufnahme des früheren Projekts „Desertec“ zu freuen. Zu diesem Zweck wurde im April 2020 ein Vorvertrag zwischen dem Energieministerium und dem deutschen Konsortium Dii Desert Energy (Desertec) unterzeichnet.
Ich begrüße auch die von der deutschen Kooperationsagentur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführten Kooperationsprojekte, die sich insbesondere auf den Kapazitätsaufbau im Bereich der erneuerbaren Energien konzentrieren.

Sind Sie noch auf der Suche nach ausländischen Partnern und Unternehmen, die Ihr Land bei der Umsetzung seiner Energieziele unterstützen?

Wie ich bereits erwähnt habe, ist der Spielraum für Investitionen in Algerien sehr groß. Es besteht ausreichend Raum für all unsere Partner, die eine „Win-win-Beziehung“ sowohl mit dem öffentlichen als auch mit dem privaten Sektor eingehen wollen. Zahlreiche ausländische Partner sind bereits durch umfangreiche und langfristige Investitionen im Sektor der erneuerbaren Energien präsent.

Ich möchte auch auf die Inbetriebnahme eines Solarkraftwerks mit einer Leistung von sechs GW im Mai 2020 im Süden des Landes hinweisen. Dies ist das Ergebnis einer algerisch-chinesischen Partnerschaft.
Ich möchte einen weiteren Punkt hinzufügen, der für Investoren von Interesse ist, nämlich ein neues Investitionsgesetzbuch, das gerade fertiggesellt wird und dessen Bestimmungen für nationale und ausländische Investoren günstiger sein werden.

Verbinden sich mit der Förderung regenerativer Energien neue Entwicklungsperspektiven für die vor allem junge Bevölkerung in Algerien?

Absolut. Die Förderung erneuerbarer Energien ist sicherlich Teil der kollektiven Anstrengung zum Wohle unseres Planeten. Es ist aber auch eine wertvolle Gelegenheit, ganze Sektoren der nationalen Wirtschaft zu entwickeln. Natürlich steht die Jugend, wie bei allen Projekten, die wir durchführen, im Mittelpunkt des Interesses der öffentlichen Behörden.
Eines der Vorteile Algeriens für seine Entwicklung ist gerade seine Jugend. Meistens handelt es sich um Absolventen von Universitäten und Berufsbildungszentren. Darüber hinaus wurde gerade eine „nationale Hochschule für erneuerbare Energien, Umwelt und nachhaltige Entwicklung“ gegründet.
Der öffentliche Mechanismus zur Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Menschen und durch junge Menschen durch die Finanzierung von Unternehmensgründungen wurde gerade erst durch einen Beschluss des Staatspräsidenten Abdelmadjid Tebboune gestärkt, um eine neue Strategie für Kleinunternehmen einzuführen, die insbesondere zur Schaffung eines speziellen Fonds für  Start-ups führen wird.
Erneuerbare Energien sind zweifellos ein Schlüsselelement der nachhaltigen Entwicklung, bei dem die Dynamik und der Unternehmergeist junger Menschen einen Mehrwert für die Volkswirtschaft bringen können. Es ist auch ein Exzellenzbereich für eine erneuerte Partnerschaft zwischen Algerien und Deutschland.

Herr Botschafter, vielen Dank.

INTERVIEW Enrico Blasnik