MORRIENS BÖRSEN-NEWS Commerzbanks Leid ist Wirecards Glück - vorerst

Es ist fast schon eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der relativ junge Zahlungsabwickler Wirecard, der erst vor 19 Jahren gegründet wurde, Commerzbank-Nachfolger im DAX geworden ist. Die Macher von Wirecard haben früh erkannt, dass Bargeld auf dem Rückzug ist und immer mehr Zahlungen elektronisch abgewickelt werden.
Diese Wechsel – neue Geschäftsmodelle ersetzen alte Geschäftsmodelle – sind ein Grund, warum Aktienindizes auf Dauer immer steigen (der deutsche Leitindex DAX in den vergangenen 30 Jahren von 1.000 auf über 12.000 Punkte). Die Unternehmen, die keine Antworten auf Zukunftstrends finden, werden aussortiert und durch wachstumsstarke Aufsteiger ersetzt.

Aber auch bei Wirecard sollten die Sektflaschen bald wieder verstaut werden. Aus dem Jäger wird jetzt der Gejagte. Zukünftig wird Wirecard noch genauer unter die Lupe genommen, da weltweit viel mehr Analysten die DAX-Werte überprüfen. Es wird genauer hingeschaut, ob das Wachstum aus eigener Kraft geschafft wurde oder doch eher durch regelmäßige Zukäufe: Je mehr Zukäufe Wirecard tätigt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann ein Übernahme-Flop ein Loch in die Bilanz reißt. Auch die Kundenstruktur von Wirecard wird genauer untersucht werden. Knapp 50 Prozent der Umsätze werden in Asien gemacht. Asien ist ein Wachstumsmarkt, aber auch bekannt für einige Bilanzüberraschungen.

„Bankensterben“ im DAX

Und dann das große Bewertungsthema: Die DAX-Werte werden aktuell im Durchschnitt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13 bewertet. Die Bandbreite reicht von Daimler, BMW, Covestro, Lufthansa (KGV unter 10) bis Adidas, Infineon und SAP mit KGV-Werten von gut 20. Wirecard liegt mit einem KGV von rund 50 weit über dem Schnitt. Im technologielastigen TecDax wurde das aufgrund der hohen Wachstumsraten eher sportlich gesehen, im DAX muss Wirecard relativ schnell seinen Nettogewinn verdoppeln, damit die Aktie in die Bewertung „hineinwächst“.

Eines ist klar: Auch das Wirecard-KGV wird in den kommenden Jahren Richtung 20 sinken –  so, wie es der Softwaregigant SAP, der im DAX am ehesten mit Wirecard vergleichbar ist, vorgemacht hat. Das KGV der Wirecard-Aktie wird aufgrund stark steigender Unternehmensgewinne Richtung 20 sinken, oder aber, weil der Aktienkurs einbricht. Langeweile kommt angesichts dieser Aussichten mit der Wirecard-Aktie im DAX garantiert nicht auf.

Dass Träume in der Finanzbranche platzen können, zeigt folgende Geschichte. Im Jahr 2001 ersetzte der stark wachsende Finanzdienstleister MLP die Dresdner Bank im DAX. Die Kommentare damals: Das klassische Bankgeschäft ist tot, unabhängige Finanzdienstleister sind die Zukunft. Das Thema „private Altersvorsorge“ machte 80 Millionen Deutsche zu potenziellen MLP-Kunden. Heute wissen wir: Die Träume und Wachstumsfantasien sind geplatzt! Bereits 2003 musste MLP den DAX wieder verlassen und ist heute mit einem Börsenwert von deutlich unter einer Milliarde Euro nicht einmal im Nebenwerte-Index SDax vertreten. Das „Bankensterben“ im DAX geht weiter, aber einige Nachfolger haben sich auch schon eine blutige Nase geholt. Die gesamte Finanzbranche befindet sich in einem Umbruch. Wer am Ende der Sieger sein wird und das größte Stück vom Umsatz- und Gewinnkuchen bekommt, ist noch offen. Daher sollten konservative Anleger die Finanzbranche an der Börse weitgehend meiden.

 

Über den Autor:

Der Analyst, Rolf Morrien, ist seit 2002 Chefredakteur des Börsendienstes "Der Depot-Optimierer" und Autor der Bücher "Wie lege ich 10.000 Euro optimal an?" und "Börse leicht verständlich".