Königs Kolumne Neue Seidenstraße - wo die Bahn der Politik vorauseilt

Da die unterschiedliche Spurbreite kein Problem mehr sein wird, rückt China immer näher an Europa. Die Frachtzüge werden länger (bis zu drei Kilometer lang), fahren schneller (5,5 statt zwölf Tage) und öfter (Ziel: alle 30 Minuten ein Zug). Alexey Grom ist Vorstandsvorsitzender der UTLC ERA. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich die United Transport and Logistics Company – Eurasian Rail Alliance, ein Konzern, der zu je einem Drittel der russischen, der kasachischen und der weißrussischen Staatsbahn gehört. Das Transportvolumen des Containerdienstleisters macht jedes Jahr große Sprünge. Die Frachtzüge auf dem eurasischen Korridor stehen im harten Wettbewerb mit Schiff, Flugzeug und Lkw. Der Unterschied ist groß. Derzeit transportiert die Bahn nur fünf Prozent von dem, was auf dem Seeweg verschifft wird. „Aber unsere Preise sind sogar mit dem Schiffsverkehr wettbewerbsfähig“, betont Grom, „wenn man die Gesamtkosten für den Kunden berücksichtigt.“

Der Verteilerbahnhof Wien/Bratislava verbindet die Breitspur mit Europa.

Das Potenzial der Schienentransporte auf der Neuen Seidenstraße ist enorm: Insgesamt werden allein auf See jährlich 23 Millionen solcher Standardcontainer zwischen Europa und Asien befördert. Strategisches Ziel ist es, bis 2025 eine Million Container auf ihre Route zu bekommen. „In langfristiger Perspektive könnten bis zu zehn Prozent des See-Transportvolumens durch die eurasische Eisenbahn geliefert werden“, prophezeit Grom. Um den Kostenvergleich transparent zu machen und die Kundenentscheidung zu erleichtern, führte das Unternehmen einen Eurasian Rail Alliance Index ein, der die exakten Kosten angibt.

Inkompatible Spurbreiten

Die Transportdauer auf der 5.500 Kilometer langen Breitspurstrecke zwischen der chinesischen und der polnischen Grenze beträgt 5,5 Tage. Jeden Tag starten auf der Breitspurbahn 1520 bis zu 15 Containerzüge der UTLC ERA. Dass die Konferenz, eine Art Gipfeltreffen der internationalen Bahn- und Logistikbranche, in Wien stattfand, ist verständlich, denn Österreich wird Endpunkt und Umladestation sein.

Von den Russland-Sanktionen sind der Bahnverkehr und die Logistikbranche nicht direkt betroffen. Allerdings rechnet Alexey Grom mit viel mehr Fracht, sobald die Sanktionen einmal auslaufen. Derzeit werden Autos und Ersatzteile, Maschinen und Industrieanlagen von Europa nach Asien transportiert, künftig werden die Chinesen verstärkt Luxusgüter liefern lassen, von hochwertigen Möbeln und Markenbekleidung bis hin zu Lebensmitteln und Weinen. Dass in der umgekehrten Richtung von China nach Europa die Containertransporte per Bahn (mit Elektronik, Computer- und Bürotechnik) besser ausgelastet sind, ist auf dem Seeweg nicht anders.

Als größtes Hindernis auf diesem Stück der Neuen Seidenstraße galt lange Zeit die unterschiedliche Spurbreite. Die 1520 Millimeter der sogenannten russischen Breitspur sind nicht kompatibel mit der europäischen Spurweite von 1435 Millimeter. Daran wird nun gearbeitet: Mit einem neuen Verteilerbahnhof wird die Breitspur bis in die TwinCity-Region Wien und Bratislava im Herzen Europas führen.
Die Spurbreite wird demnach kein Problem sein, doch am bürokratischen Papierkram in verschiedenen Sprachen an den Grenzübergängen muss noch gearbeitet werden. Die Entwicklung lässt sich aber nicht mehr aufhalten, auch wenn sie noch wenig wahrgenommen wird.

Über den Autor:

Ewald König ist Chefredakteur bei korrespondenten.tv, einem Projekt des Berliner Korrespondentenbüros.