Interview mit der Botschafterin von Mali I.E. Oumou Sall Seck "Mali steht an der Spitze der Baumwollproduktion in der UEMOA-Region"

DM: Frau Botschafterin, mit Algerien, Niger, Burkina Faso, Guinea, Elfenbeinküste, Senegal und Mauretanien grenzen sieben Länder an Mali. Wie gestalten sich die Beziehungen zu diesen Staaten der westafrikanischen Subregion?

I.E. Oumou Sall Seck: Mali unterhält gute nachbarschaftliche Beziehungen zu allen sieben Nachbarländern. Die Geschichte der Bevölkerung dieser Länder ist allgemein bekannt und stark miteinander verflochten. Die säkulare Vermischung ist zweifellos eine Quelle des sozialen Zusammenhalts und der Partnerschaft zwischen den Gemeinschaften. Eine der lebendigen Ausdrucksformen dabei ist der freie Personen- und Warenverkehr sowie das Stattfinden von Wochenmärkten auf beiden Seiten einiger unserer Grenzen.
In den schwierigen Zeiten haben die Menschen in den Nachbarländern die Malier aus Solidarität entweder in den Familien oder in den Flüchtlingslagern aufgenommen, Mali hat das Gleiche für die Völker seiner Nachbarn getan.
Auf politischer Ebene hat Burkina Faso während der Krise von 2012 mit Unterstützung der subregionalen und internationalen Gemeinschaften den Dialog zwischen den Maliern geführt und erleichtert, der zu dem vorläufigen Abkommen von Ouagadougou im Jahr 2013 führte, das die Durchführung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ermöglichte und damit eine politische Normalisierung im Land erreichte.

Was Algerien betrifft, so hat das Land seit 1963 immer Friedensinitiativen im Zusammenhang mit den verschiedenen Krisen in Mali unterstützt. Mit der jüngsten Krise hat sich Algerien nachdrücklich verpflichtet, die Mali-Gespräche zu führen, die zum Abkommen von Algier geführt haben, das das Referenzdokument für die Förderung eines dauerhaften Friedens in Mali ist.
Es sei betont, dass im Geiste der Solidarität und für die Stabilisierung Malis und unter der Schirmherrschaft der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der Afrikanischen Union (AU) und der internationalen Gemeinschaft alle Nachbarländer sowie Ghana, Nigeria, Benin, Togo, Sierra Leone, Liberia, Tschad, Gambia, Kap Verde und Guinea-Bissau Truppen für die internationale Unterstützungsmission in Mali unter der Führung der AU bereitgestellt oder Mali bilateral unterstützt haben. Heute haben fast alle Nachbarländer Truppen oder militärische Beobachter in die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) entsandt. Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sind ebenfalls intensiv, was durch den freien Personen- und Warenverkehr erleichtert wird.

Deutschland und Mali pflegen seit den 1960er-Jahren intensive Beziehungen. Wie würden Sie die malisch-deutschen Beziehungen beschreiben?

Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Mali sind ausgezeichnet und vielfältig, insbesondere in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Militär und Finanzen. Malier erinnern sich gerne daran, dass die Bundesrepublik Deutschland 1960 als erstes Land die unabhängige Republik Mali anerkannt hat.
Auf politischer Ebene unterhält Mali mit der Bundesrepublik Deutschland effiziente, pragmatische und diskrete Beziehungen unter Wahrung unserer Werte. Wie solide diese Beziehungen sind, zeigen zahlreiche Besuche der höchsten Vertreter unserer beiden Länder. Wenige Wochen nach seiner Amtseinführung kam S.E. Ibrahim Boubacar Keïta, Präsident der Republik Mali, im Dezember 2013 zu seinem ersten Besuch in Deutschland im Dezember 2013. Dem folgten mehrere weitere, insbesondere im Januar 2015, Juni 2017 und Februar 2019. Sowohl der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kamen nach Mali, Gauck im Februar 2016 und die Kanzlerin im Oktober 2016 beziehungsweise Mai 2019. Der derzeitige Präsident Frank-Walter Steinmeier kennt Mali auch sehr gut, weil er mehrmals als Außenminister unser Land bereiste. Die verschiedenen Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsminister sowie mehrere Mitglieder der Parlamentsausschüsse und andere deutsche Vertreter haben Mali besucht.
Ich möchte betonen, dass Mali eines der wichtigsten Partnerländer Deutschlands für die Zusammenarbeit ist. Die Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich auf die drei Schwerpunktereiche: Förderung der Dezentralisierung und Good Governance, produktive Landwirtschaft, Trinkwasser und Sanitärversorgung.

Im Bereich der Kultur möchte ich die großen Anstrengungen Deutschlands zur Erhaltung, Erschließung und Digitalisierung der Timbuktu-Handschriften würdigen. In diesem Kooperationsbereich hat Deutschland einen relevanten und vielfältigen Ansatz verfolgt, der an unsere nationale Politik angepasst ist. Deutschland interveniert auf staatlicher Ebene, unterstützt aber auch unsere Gebietskörperschaften, die Zivilgesellschaft, private Dienstleister, während andere Programme von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (GIZ) für technische Fragen und der Deutschen Entwicklungsbank KFW für die Finanzierung umgesetzt werden.  
Seit den Krisen von 2012 hat die deutsche militärische Zusammenarbeit erheblich zugenommen, und der deutsche Beitrag zur Stärkung der malischen Streitkräfte ist bemerkenswert. Allein in den letzten drei Jahren hat Deutschland Mali im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit in vielerlei Hinsicht unterstützt, insbesondere bei der Ausrüstung. Die deutsche Präsenz in Mali umfasst Tausend Soldaten zur Unterstützung von MINUSMA, EUCAP und EUTM. Ich erlaube mir hier, an eine malische Redensart zu erinnern, die besagt, dass „wir in schwierigen Zeiten die wahren Freunde erkennen“.

Große Moschee von Djenné

Die Bundesrepublik unterstützt auch die UN-Mission MINUSMA, deren Mandat Ende Juni vom UN-Sicherheitsrat um ein Jahr verlängert wurde. Könnten Sie unseren Lesern einen aktuellen Überblick über die sicherheitspolitische Situation vor Ort geben?

Die Sicherheitslage in Mali hatte sich durch asymmetrische und terroristische Anschläge sowie häufige Gewalttaten im Rahmen im innergemeinschaftlichen Kontext stark verschlechtert. Diese Gewalt wurde von terroristischen und extremistischen Gruppen in Teilen des Nordens und in der Mitte des Landes angeheizt. Angesichts der starken Entschlossenheit der malischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte, der Unterstützung durch die Partner und der französischen Barkane-Truppe, die ich für die Opfer loben möchte, die sie erbracht haben, wird die Situation allmählich unter Kontrolle gebracht. Dennoch ist es ein langfristiger Kampf, denn der Feind bleibt im Allgemeinen „unsichtbar“ und operiert mit „unkonventionellen“ Mitteln.

Inzwischen sind rund 11.000 UN-Soldaten vor Ort, um Mali zu stabilisieren. De facto gibt es auch seit 2015 einen Friedensvertrag zwischen Ihrer Regierung und den bewaffneten Gruppen. Dennoch kommt Ihr Land nicht zur Ruhe. Was wäre notwendig, um den Friedensprozess zu beschleunigen?

Seit 2015 wurden bei der Umsetzung des Friedensabkommens erhebliche Fortschritte erzielt, zunächst gibt es keine offenen Feindseligkeiten mehr zwischen der Regierung und den bewaffneten Gruppen, die das Friedensabkommen unterzeichnet haben, was ein erstes wichtiges Zeichen ist, obwohl es nur wenige Fälle von bewaffneten Zusammenstößen zwischen rivalisierenden bewaffneten Gruppen gegeben hat.
Zweitens können alle bewaffneten Gruppen frei nach Bamako reisen und an den Sitzungen der Organe zur Umsetzung des Friedensabkommens teilnehmen. Im Rahmen des Friedensabkommens wurden Übergangsbehörden eingerichtet und ihre Mitglieder ernannt, die in perfekter Symbiose mit den lokalen Gemeinschaften und Regierungsvertretern arbeiten. Der Prozess der beschleunigten Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung („Accelerated Disarmament Demobilisation and Reintegration“, A-DDR) hat zur Integration von Elementen der bewaffneten Gruppen in die malischen Streitkräfte geführt, die sich in der militärischen Ausbildung befinden. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (CJVR) sowie die internationale Untersuchungskommission sind voll funktionsfähig.
Drittens laufen die Vorbereitungen für die Revision der Verfassung, um sie an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Wie Sie wissen, ist jede Suche nach Frieden stets langsam.
Die wirksame Umsetzung des Abkommens für Frieden und Versöhnung unter Gewährleistung der Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Parteien sowie den zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Bevölkerung im gesamten Land bleibt der beste Weg, um den Friedensprozess zu beschleunigen. In diesem Bereich setzt die Regierung alle ihre Kräfte ein, indem sie unter der Führung unseres Präsidenten Boubacar Keïta zahlreiche Aktionen einleitet. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle internationalen Akteure, die mit den Maliern zusammenarbeiten, sehr genau auf den zu bewältigenden Kontext achten. Die Suche nach Lösungen muss durch eine Kombination aus Sicherheit und Entwicklung an die Realität vor Ort angepasst werden.

Gold und Baumwolle sind Malis wichtigste Exportgüter, über deren Wert die Weltmarktpreise entscheiden. Aufgrund dieser Abhängigkeit will die malische Regierung die Wirtschaft diversifizieren und umstrukturieren. Was heißt das genau in Malis Fall?

Es werden staatliche Regeln implementiert, wobei der öffentliche Sektor im Rahmen der Maßnahmen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und zur Teilnahme am öffentlich-privaten Dialog stark einbezogen wird. Mali steht an der Spitze der Baumwollproduktion in der UEMOA-Region (Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion), an dritter Stelle der Goldproduktion in Afrika. Diese machen einen erheblichen Teil der fiskalischen und nicht-fiskalischen Einnahmen aus und tragen weitgehend zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Außerdem hat das Land als Bemühung, die Handelsbilanz zu verbessern, und angesichts der Tatsache, dass Mali das wichtigste Importland in dieser Wirtschaftszone und ein Hinterland ohne Zugang zum Meer ist, seine Wirtschaft auf die Produktion von Rohstoffen ausgerichtet und fünfzehn Prozent seines Haushalts in den Agrarsektor investiert. Diese Politik zielt auf die Schaffung einer Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Industrie ab, die die Transformation dieser Produkte notwendig machte und zur Schaffung von zukunftsorientierten und wirtschaftlichen Zweigen mit hoher Wertschöpfung führte.

Der Niger ist der drittlängste Fluss Afrikas.

Malis Regierung hat einen milliardenschweren Plan ins Leben gerufen, um den Niger-Fluss (auch Djoliba genannt) zu retten. Wovor muss der drittgrößte Fluss Afrikas gerettet werden, und wie sieht dieser Plan genau aus?

Die malische Regierung hat einen Sparplan aufgelegt, um zur Erhaltung der Zukunft des Niger-Flusses beizutragen. Zu diesem Zweck wurde ein nationaler Plan mit einem Finanzrahmen von rund 2,2 Milliarden Euro angekündigt. Es ist dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, da der drittgrößte Fluss Afrikas durch Umweltverschmutzung, Versandung, Baggerarbeiten und andere illegale Aktivitäten der Nutzung bedroht ist.
Das nationale Programm zum Schutz des Niger-Flusses (PNS-FN) wurde von der Regierung meines Landes mit dem Ziel durchgeführt, alle Initiativen zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und mobilitätsbezogenen Funktionen des Niger-Flusses zusammenzufassen, indem das Navigationssystem verbessert wird und ein effizienteres Management der Einzugsgebiete erfolgt, indem seine Ufer vor Abtragung und unkontrollierter Besiedlung von Bewohnern geschützt werden, indem der Zustand seines Flussbetts und seiner Nebenflüsse verbessert wird und indem der Entwicklung seiner Ufer in bestehenden Ansiedlungen neue Impulse gegeben werden. Dieses Projekt wird sich positiv auf die Bevölkerung am Fluss auswirken und ihre Lebensbedingungen verbessern, indem es für eine gesunde und unbelastete Umwelt sorgt. Es wird der malischen Bevölkerung und allen Flussanrainerstaaten eine erkennbar unbelastetere Umwelt bieten.  

Musik spielt für Malis Identität eine bedeutende Rolle, sie ist eine politische, kulturelle und soziale Kraft. Heutzutage dominieren zugängliche Klänge aus dem Blues. Welche Musiker aus Mali sollte man sich unbedingt einmal anhören?

Musik verbindet Menschen und Kulturen. Mali ist mit einem reichen und vielfältigen Musikstil ausgestattet. Musik spielt eine große Rolle in Bräuchen und Traditionen, sie ist die Grundlage für den gemeinsamen Wunsch der Gemeinschaften, „zusammenzuleben“, und ist traditionell ein Instrument der Kommunikation. Jede Gemeinschaft oder Region kann durch ihre Musik identifiziert und lokalisiert werden. Die malische Musik ist noch immer eine Quelle der Inspiration für die Musik auf der ganzen Welt. Wir haben ein großartiges traditionelles Erbe, das durch Begegnungen und Dialoge mit anderen Kulturen der Welt mit den aktuellen Entwicklungen Schritt hält. Es ist schwierig, zwischen den Liedern der Griots, den Kora- oder Ngoni-Rhythmen oder den Takamba der Songhaïs, der Tendé-Musik der Tuareg oder den Rhythmen der Fulbe, Dogon, Bozo, Bobo oder der Kassonké zu wählen, um nur einige zu nennen. In Deutschland werden malische Künstler sehr geschätzt und oft zu Konzerten und Festivals eingeladen, und ich empfehle uns allen, ihnen einfach zuzuhören und sie zu schätzen.

Die Botschafterin der Republik Mali I.E. Oumou Sall Seck und Enrico Blasnik, Chefredakteur des Diplomatischen Magazins

Frau Botschafterin, vielen Dank für das Interview.


INTERVIEW Enrico Blasnik