Interview mit der Botschafterin von Malaysia I.E. Sarah Nava Rani "Wir ermutigen Investoren, Malaysia als Tor und Drehscheibe für die gesamte ASEAN-Region zu nutzen"

Frau Botschafterin, am 9. Mai 2018 kam es zu einer Zäsur in Ihrem Land. Die Parteienallianz „Nationale Front“ (Barisan Nasional) wurde nach 61 Jahren an der Macht abgewählt. Welche Erfolge kann das neue Bündnis „Pakatan Harapan“ bislang vorweisen?

Ich glaube, die wahre Erfolgsgeschichte hinter dem beispiellosen Regierungswechsel in Malaysia nach 61 Jahren liegt in der Demonstration der Stärke des malaysischen Volkes und seines Willens nach Veränderung. Er ist ein Beweis für die Reife der Demokratie in Malaysia. Trotz des Pessimismus der Kritiker wurde die neue Regierung rasch und friedlich gebildet.
Unter der Leitung von Premierminister Dr. Mahathir Mohamad hat sich Pakatan Harapan verpflichtet, die gute Regierungsführung und das wirtschaftliche Ansehen des Landes zu stärken. Dazu gehören die Umstrukturierung von Institutionen sowie die Überprüfung von Ansätzen und Strategien. Im Mittelpunkt stehen Maßnahmen zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums, zur Verbesserung des Vertrauens der Investoren, zur Stärkung des Humankapitals und zur Gewährleistung einer integrativen Entwicklung, bei der niemand dabei zurückbleibt, vom nationalen Wachstum zu profitieren. Die neue Regierung setzt sich auch ernsthaft für mehr Transparenz und eine höhere Effizienz der öffentlichen Dienste ein.
Das soziale Wohlergehen und die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen haben oberste Priorität. Zu den unmittelbaren Maßnahmen gehören unter anderem die Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung spezifischer medizinischer Systeme für einkommensschwache Gruppen, die Einrichtung eines speziellen finanziellen Beitragssystems für Hausfrauen und alleinerziehende Mütter, die Stärkung der Rolle der Frau, die Verbesserung der Kinderbetreuung und des Kinderschutzes sowie die Verbesserung der Versorgungssysteme für die Menschen.

Vergangenen Oktober sprach Ihr Premierminister davon, dass Malaysia bereit sei, sich noch mehr international einzubringen. Was sind hier die wichtigsten Themen, auch für die Zukunft?

Bereits im Jahr 1957, als Malaysia seine Unabhängigkeit erlangte, hat es eine unabhängige, prinzipientreue und pragmatische Außenpolitik verfolgt, die auf Frieden, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit basiert. Unsere Außenpolitik stützt sich auf die starken und freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern und unserem Engagement für das multilaterale System. Unter der derzeitigen Führung fördert Malaysia weiterhin eine zukunftsorientierte und pragmatische Außenpolitik, die den Handel erleichtert, ausländische Investitionen anzieht und Malaysia als stabiles und friedliches Land präsentiert.
„Schütze deinen Nachbarn“ beschreibt die Politik, die wir verfolgen, um die Wirtschaftsbeziehungen und die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten und anderen Teilen der Welt zu verbessern. Im Bereich der technischen Zusammenarbeit mit anderen Entwicklungsländern etwa ist Malaysia eng mit anderen Ländern verbunden, indem es seine Erfahrungen und sein Wissen über verschiedene außenpolitische Maßnahmen austauscht. Dazu gehören das Malaysische Programm für Technische Zusammenarbeit (MTCP) und der Langkawi International Dialogue, bilaterale Hilfe sowie Programme der öffentlichen Diplomatie.
Als Mitglied der Vereinten Nationen setzt sich Malaysia uneingeschränkt für den Multilateralismus ein, um Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der Welt zu fördern. Die Erfolge Malaysias bei UN-Friedenseinsätzen, vier Amtszeiten als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats (zuletzt 2015-2016) und Mitgliedschaften in anderen UN-Gremien zeigen, dass Malaysia entschlossen ist, zu den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft für globalen Frieden und Sicherheit beizutragen.
Malaysias Auftreten wird sich auch weiterhin an den Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit, der Souveränität, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, der friedlichen Koexistenz sowie des gegenseitigen Nutzens in den Beziehungen orientieren.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Malaysia und Deutschland sind auch sehr eng. In Ihrem Land sind Hunderte deutsche Firmen vertreten. Was macht Malaysia so attraktiv für Investitionen?

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Malaysia und Deutschland waren schon immer stark. Deutschland ist unser größter Investor aus der EU. Von 1980 bis September 2018 gab es 589 Produktionsprojekte mit einem Investitionsvolumen von 9,1 Milliarden Euro. Diese Projekte hatten und haben Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen.
Ich glaube, dass einer der Hauptanziehungspunkte Malaysias für Investoren die Tatsache ist, dass sich Malaysia durch seine geschäftsfreundlichen Richtlinien und seine Infrastruktur weiterentwickelt und den Wandel annimmt. Von einem Land, das von der Landwirtschaft und seinen Rohstoffen abhängig war, hat sich Malaysia zu einer exportorientierten Wirtschaft entwickelt, die von Hochtechnologien sowie wissensbasierten und kapitalintensiven Industrien angetrieben wird. Derzeit arbeiten wir auf die Industrie 4.0 als nächste Entwicklungsstufe im verarbeitenden Gewerbe hin.
Am 31. Oktober 2018 startete Premierminister Mohamad unsere nationale Industriepolitik 4.0, genannt „Industry4WRD“. Diese Strategie ist das Ergebnis von Studien über Best Practices in Ländern, darunter auch Deutschland. Industry4WRD will Malaysias Fähigkeiten als Ziel für Hightech-Investitionen stärken. Sie sieht Malaysia als strategischen Partner für Smart Manufacturing, als primäre Adresse für Hightech-Industrien als Gesamtlösungsanbieter für den Produktionssektor in der Region. Mit Malaysias gut entwickelter Infrastruktur und Konnektivität haben ausländische Unternehmen viel zu gewinnen, was die Nutzung von Wachstumschancen und den sofortigen Marktzugang betrifft. Auch wenn Malaysia „nur“ 32 Millionen Einwohner hat, befindet man sich in Malaysia in der Mitte einer Region mit 640 Millionen Menschen. Wir ermutigen Investoren, Malaysia als Tor und Drehscheibe für die gesamte ASEAN-Region zu nutzen. ASEAN bietet Investoren eine effektive Plattform, um ihre Wertschöpfungskette zu nutzen und zu maximieren.

Chinas „Belt and Road Initiative“ würde sowohl wirtschaftliche als auch geopolitische Effekte für Malaysia haben. Wie bewertet Ihre Regierung das neue Seidenstraßenprojekt?

Malaysia unterstützt weiterhin die Belt and Road Initiative (BRI), die Chinas Präsident Xi Jinping 2013 vorgestellt hat. Wir glauben, dass das riesige transkontinentale Entwicklungsprojekt als Katalysator für die nächste Phase des Wachstums der Weltwirtschaft dienen könnte. Malaysia ist der Ansicht, dass die offene, faire und integrative Seidenstraßen-Initiative die regionale Vernetzung stärken, Handelsbeziehungen intensivieren und größere wirtschaftliche Chancen in der Region schaffen könnte.
BRI ist für Malaysia von Bedeutung, da es nicht nur den Handel mit China verbessern wird, sondern auch den Marktzugang für malaysische Produkte und Dienstleistungen auf andere Länder entlang der „Neuen Seidenstraße“ ausweiten wird. Unsere strategische geografische Lage im Zentrum Südostasiens, zwischen Europa und China, sowie die engen kulturellen, sprachlichen und sogar kulinarischen Verbindungen, die wir mit China teilen, haben Malaysia einen bedeutenden Vorteil in der Region verschafft.
Malaysia kann von den enormen Möglichkeiten profitieren, die die BRI bei der Entwicklung von Logistik, Infrastruktur, Tourismus, Handel, Sport, Bildung und Industrie bietet. Daher setzt Malaysia die Initiativen im Rahmen der BRI weiter prüfend fort.

V. l.: die Gesandte Rus Shazila Binti Osman, die Botschafterin Malaysias I.E. Sarah Nava Rani und der Gesandte-Botschaftsrat Mohd Shahafeez Shaharis

Malaysia ist einer der weltweit größten Palmölproduzenten. Dafür werden tropische Regenwälder abgeholzt. Kalkuliert Ihre Regierung die nachhaltigen Folgen der Abholzung der Wälder für die Ökosysteme ein?

Die Palmölproduktion wurde oft für die Entwaldung in Südostasien verantwortlich gemacht. Dies wird jedoch den laufenden Umweltschutzmaßnahmen der Behörden und Nichtregierungsorganisationen sowie regionaler und internationaler Organisationen in Malaysia nicht gerecht. Tatsächlich zeigen UN-Statistiken, dass in den letzten 25 Jahren 195 Millionen Hektar Wald gerodet wurden. Davon sind weniger als vier Prozent auf die Fläche für Ölpalmen im Vergleich zu Vieh und anderen Ölsaaten zurückzuführen. Ölpalmen haben die geringste Landnutzung und liefern den höchsten Ertrag. Der durchschnittliche Ertrag von Ölpalmen von vier Tonnen Öl pro Hektar und Jahr ist 4,3 Mal höher als bei Raps, 5,4 Mal höher als bei Sonnenblumen und zehnmal höher als bei Soja. Darüber hinaus war Malaysia erfolgreich bei seinen Anstrengungen, die Erträge aus Palmöl durch Forschung und nicht durch den Ausbau von Ölpalmenplantagen zu steigern.
In Malaysia steht die Palmölindustrie zudem im Mittelpunkt der Bemühungen der Regierung, um die die Armut durch die vielen Ölpalmenplantagenprogramme der Regierung zu beseitigen. Entgegen der voreingenommenen Auffassung, dass die malaysische Palmölindustrie von Unternehmen geführt wird, werden 40 Prozent der 5,81 Millionen Hektar Anbaufläche in Malaysia tatsächlich von 650.000 Kleinbauern bewirtschaftet. Es ist einer der erfolgreichsten Pläne der Regierung zur Armutsbekämpfung, da die Palmölindustrie etwa 15 Prozent der malaysischen Arbeitskräfte beschäftigt. Malaysia hat auch seine Bemühungen intensiviert, um eine verbindliche Zertifizierung unserer gesamten Palmöllieferkette bis Ende 2019 sicherzustellen, wobei die MPSO-Zertifizierung (Malaysian Sustainable Palm Oil) als nationaler Standard verwendet wird.
Wir haben verschiedenste Regelungen und Initiativen zum Schutz der Wälder und der biologischen Vielfalt erlassen. So sind 55 Prozent der Landfläche in Malaysia bewaldet, was über die auf der Rio-Konferenz 1992 eingegangene Verpflichtung hinausgeht, mindestens 50 Prozent unserer Landfläche unter Waldbedeckung zu erhalten. Darüber hinaus hat Malaysia kürzlich mit der Umsetzung des Masterplans „Central Forest Spine“ (CFS) begonnen, mit dem Ziel, ein zusammenhängendes Waldnetz aufzubauen, das durch ökologische Korridore auf der Halbinsel verbunden ist. Auf regionaler Ebene setzt Malaysia die „Heart of Borneo Initiative“ um, die darauf abzielt, 20 Millionen Hektar Wald in Malaysia, Indonesien und Brunei zu schützen.

Für Malaysia ist Tourismus ein bedeutendes wirtschaftliches Standbein. In diesem Jahr ist Malaysia sogar das Partnerland der internationalen Tourismusmesse ITB in Berlin. Was muss ich mir als Tourist in Ihrem Land unbedingt anschauen?

Der Tourismus ist zu einem wichtigen Sektor für das nationale Wachstum und die wirtschaftliche Entwicklung Malaysias geworden. Im Jahr 2017 trugen die Tourismuseinnahmen 14,9 Prozent zur Wirtschaft Malaysias bei. Der direkte Beitrag der Tourismusbranche zum BIP des Landes betrug 6,1 Prozent mit einem Wert von 18,3 Milliarden Euro. Trotz der großen Entfernung zwischen Malaysia und Deutschland besuchten vergangenes Jahr 98.377 deutsche Touristen Malaysia.  
Das Großartige an Malaysia ist, dass Sie hier, was auch immer das Reisen für Sie bedeutet, ein Erlebnis finden, das all Ihre wildesten Reiseträume erfüllt. Malaysia hat 14 Bundesstaaten und jeder von ihnen bietet ein einzigartiges Erlebnis, was die Kultur, Natur, vielfältige köstliche Küchen oder Malaysias freundliche und vor allem gastfreundliche Menschen betrifft.
Unser Land ist ein multikultureller Schmelztiegel Asiens, mit starken Einflüssen aus dem malaiischen Archipel, China, Indien und dem Rest Südostasiens, Sie werden von den Fusionen der unterschiedlichen Einflüsse fasziniert sein. Malaysia beherbergt fünf UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten, nämlich Lenggong Valley, Mulu Nationalpark, Kinabalu Park, Georgetown und Malakka. Diese Stätten sind bekannt für ihre Biodiversität, ihren archäologischen, historischen und kulturellen Wert.
Als Metropole ist Kuala Lumpur eine der pulsierendsten Städte und hat alles, was man sich erhoffen kann, mit einem einzigartigen malaysischen Charakter. Man kann viele köstliche Gerichte zu erschwinglichen Preisen probieren, Zeit in geschäftigen Einkaufszentren verbringen, das interessante Erlebnis des Feilschens auf Marktbasaren erleben, die berühmten Petronas Twin Towers hinaufgehen, um einen wunderbaren Blick auf die Stadt zu werfen, und die Kuala Lumpur Monorail (Einschienenbahn) für einen einfachen Zugang zu jedem Teil der Stadt fahren. Kuala Lumpur ist auch ein guter Ausgangspunkt für Tagesausflüge zu anderen interessanten Zielen wie den alten Batu-Höhlen, dem historischen Staat Malakka, nahegelegenen Themenparks, Stränden und Naturausflügen.
Malaysia ist auch die Heimat exotischer Wildtiere wie des Nasenaffens und des Orang-Utans. Es ist der beste Ort, um diese unglaublichen Tiere in freier Wildbahn zu sehen. Man kann nach Borneo fahren, um den charismatischen Orang-Utan im Dschungel von Sepilok, Sabah und dem Semenggoh Nature Reserve in Sarawak zu sehen, den Berg Kinabalu für ein erstaunliches Dschungelerlebnis hinaufwandern und abgelegene Dörfer besuchen, riesige grüne Reisfelder von Kedah besichtigen, und die einzigartige Flora und Fauna im Belum Temenggor, Taman-Negara-Nationalpark und Kilim Geoforest Park genießen.
Wenn Sie Abenteuer suchen, erkunden Sie die Höhlen im Gunung-Mulu-Nationalpark, wandern Sie durch die Teeplantagen der Cameron Highlands, wagen Sie einen Bungee-Jump im Sunway Extreme Park, machen Sie Wildwasser-Rafting in Kuala Kubu und schnorcheln oder tauchen Sie an den vielen Orten vor der Halbinsel oder der Küste von Sabah.

Malaysias Botschafterin I.E. Sarah Nava Rani und Enrico Blasnik, Redakteur des Diplomatischen Magazins

Deutschland ist Ihre erste Station als Botschafterin. Haben Sie sich den Job, die Menschen und das Land so vorgestellt?

Ich habe mir Deutschland immer als ein offenes und fortschrittliches, modernes Land vorgestellt. Ich habe auch die reiche Geschichte Deutschlands bewundert, die die Stärke und Widerstandsfähigkeit seiner Menschen widerspiegelt.
Durch meine Zusammenarbeit mit vielen Menschen, sei es im politischen, wirtschaftlichen oder akademischen Kreis sowie mit Regierungsvertretern, stelle ich fest, dass Malaysia und Deutschland die gleiche Perspektive einer konstruktiven Zusammenarbeit teilen, um gegenseitig vorteilhafte Ergebnisse zu erzielen. Die Deutschen sind freundlich und bei Anfragen nach Treffen, Diskursen, Informationsaustausch und dem Austausch bewährter Verfahren sehr entgegenkommend. Ich bin auch sehr glücklich, ein exzellentes Team von Kollegen in der Botschaft hier in Berlin und unserem Konsulat in Frankfurt sowie zwei sehr engagierte Honorarkonsuln, Datuk Edgar E. Nordmann in Hamburg und Senator Datuk Dr. Helmut Baur in Stuttgart, zu haben. Sie waren in den letzten zwei Jahrzehnten eine enorme Hilfe, und während meiner Amtszeit haben sie mir geholfen, die reibungslose Erfüllung meiner Aufgaben als Botschafterin für die Förderung Malaysias und den Ausbau der bilateralen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen Malaysia und Deutschland zu gewährleisten.  
Als Diplomatin in Berlin stelle ich fest, dass meine Arbeit hier in Deutschland auch durch die positive und einladende Einstellung der Menschen erleichtert wird, mit denen ich glücklicherweise zusammenarbeiten konnte, auch aus dem Diplomatischen Korps. Ich freue mich darauf, während meiner gesamten Amtszeit hier weitere bedeutungsvolle Beziehungen zu vielen anderen aufzubauen.

Frau Botschafterin, vielen Dank für das Gespräch.

INTERVIEW Enrico Blasnik