Ein anderer Unternehmenslenker sieht sich als „Chief Disruption Officer“: Dr. Valentin Langen, Leiter des Gründerzentrums „freiraum“ der Wagner-Gruppe, Markdorf am Bodensee. Wagner macht Beschichtungen aller Art und präsentiert nun Sonnencreme in einer besonderen Anwendung – da sich Menschen oftmals schlecht eincremen. Eine Transformation von Know-how am Beispiel von Beschichtungen.

Dies sind Beispiele der Arbeit von Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden: der Mittelstand. Spitzen dieser Gruppe trafen sich Anfang Februar 2019 zur Konferenz „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“, die inzwischen zum 9. Mal von der Akademie Deutscher Weltmarktführer zusammen mit der „Wirtschaftswoche“ in Schwäbisch Hall ausgerichtet wurde. Gastgeber war wie auch in den vergangenen Jahren die Bausparkasse Schwäbisch Hall sowie die Würth-Gruppe.
Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn zufolge werden bis 2022 etwa 150.000 Unternehmensübertragungen stattfinden, davon etwa 12.000 Unternehmen mit jährlichen Umsätzen von über 50 Millionen Euro. Die Nachfolger werden zu etwa 50 Prozent aus der Familie kommen, danach folgen Investoren (25 Prozent), Mitglieder des Managements (15 Prozent) und andere Gruppen.

Peter Altmaier und die Industriestrategie 2030
Ein Highlight der Veranstaltung war der Auftritt von Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Er stellte unter anderem seine Überlegungen zur künftigen Industriepolitik Deutschlands vor, den Entwurf zur „Nationalen Industriestrategie 2030“. Dieser Plan soll einen Beitrag zur Sicherung und Wiedererlangung von wirtschaftlicher und technologischer Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit und Industrieführerschaft der nationalen, aber auch der gesamteuropäischen Industrie leisten. Es müsse das Ziel sein, auch bei sogenannten disruptiven Technologien in eine globale Führungsposition zu kommen.
Zu Altmaiers Forderungen gehört unter anderem eine unabhängige, umfassende und schonungslose Analyse der Stärken und Schwächen aller Volkswirtschaften in der Europäischen Union. Des Weiteren soll sich die industrielle Bruttowertschöpfung in Deutschland von derzeit 23 auf 25 Prozent im Jahr 2030 erhöhen, innerhalb der EU auf 20 Prozent. Derzeit findet in Europa eher das Gegenteil statt, nämlich eine zumindest regionale Deindustrialisierung.

Sollte es einen roten Faden geben, der sich durch die verschiedenen Aspekte der Veranstaltung und des Altmaier-Konzeptes zog, war es die Digitalisierung und das Vordringen Künstlicher Intelligenz („KI“) in Industrieabläufe. Noch immer erscheint KI als etwas Fremdes. Viele Menschen können sie nicht fassen, sie bringt darum Unsicherheit.
Können staatliche Maßnahmen unsere Unternehmen beim Um- oder Einstieg in KI unterstützen? Die „Nationale Industriestrategie 2030“ beschreibt, dass Deutschland bisher wohl gut in der Grundlagenforschung aufgestellt ist, aber die Marktreife von Produkten wird von Unternehmen der USA oder Chinas vorgegeben. KI ist eine übergreifende Basisinnovation, die sich auf alle Wirtschafts-, Industrie- und Dienstleistungsbereiche sowie auf das private und berufliche Leben auswirken wird. Wollen wir verhindern, zur verlängerten Werkbank anderer zu werden, muss die deutsche und europäische Industrie in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nicht nur mithalten, sondern an der Spitze stehen. Warum sollte sich der Staat zumindest mit Rahmendaten in diese Entwicklung einmischen? Weil das vom Staat gegebene Wohlstandsversprechen für seine Bürger sehr wohl auf dem Spiel steht, sollte unsere Industrie – auch weil hierzulande große und globale Player in der digitalen Industrie fehlen – in der Entwicklung scheitern. Glauben wir wirklich, dass wir mit unseren heute starken Industrien in zehn oder 20 Jahren immer noch vorne stehen?

Mitarbeiter brauchen Fort- und Weiterbildung
Zustimmung erhielt Peter Altmaier von Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG. Künstliche Intelligenz schürt Ängste, auch bei den Mitarbeitern. Kaeser hob daher die Notwendigkeit ständiger Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter hervor. Auch dies wäre ein Beitrag, die wachsende Spaltung unserer Gesellschaft zumindest zu verringern.
Die Volksrepublik China hat ihre 2015 beschlossene Agenda „Made in China 2025“. Die USA wandeln sich von „America first“ zu „America alone“. Auch Russland und Indien haben sich neue industriepolitische Ziele gesetzt. Diese Strategien hegen die Absicht, vor allem die lokale Wertschöpfung zu stärken. Wir sollten daher nicht abwarten, bis unsere Schwächen im globalen Maßstab ausgenutzt werden, und wir weiter zurückfallen, wie bereits in der Unterhaltungs-, Telekommunikations- und Computerelektronik, von Internetplattformen ganz zu schweigen. Kaeser rät also, dringend über unsere Industriepolitik nachzudenken: Welche Ziele haben wir? Was wollen beziehungsweise müssen wir gegebenenfalls mit staatlicher Unterstützung fördern? Auch die gerechte Altersversorgung für Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, hält er für die richtige Debatte. Wir brauchen Unternehmen und Unternehmer mit Herz und Anstand.

Gabriel Felbermayr, Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des Münchner ifo-Instituts, ordnete die deutsche Wirtschaftspolitik global ein. Der deutsche Außenhandelsüberschuss zeige seit 2016 kein Wachstum mehr. Einerseits sei das gut, weil es schließlich von der Politik so gefordert werde. Aber andererseits ist die Folge eben: kein Wachstum. Dies werde immerhin positiv durch Binnenwachstum kompensiert.
Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass das aktuelle deutsche Geschäftsmodell auf der Globalisierung beruht. Die deutsche Industrieproduktion ist seit Mai 2018 rückläufig, der Welthandel schwächelte im letzten Jahr. Die nationalen Alleingänge verschiedener Länder führen zu einem stärkeren Blockdenken. Der Abbau globaler Ungleichheit stagniert. Gerät dadurch auch der Aufholprozess der ärmeren Länder ins Stocken?

Über den Autor:
Ferry Wittchen ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer im Raum Stuttgart. Er berät insbesondere mittelständische Unternehmen im Rahmen der Internationalisierung.