IFAIR Sind Hilfszahlungen an die MENA-Region in erster Linie geopolitisch motiviert?

Dieser Artikel wirft die These auf, dass geopolitische Erwägungen zwar einen wesentlichen Einfluss auf ausländische Hilfszahlungen ausüben und als Hauptbeweggrund solcher Leistungen bezeichnet werden können, jedoch nicht den einzigen ausschlaggebenden Entscheidungsfaktor im Hinblick auf öffentliche Entwicklungshilfeleistungen darstellen.

2005 erhielt die MENA-Region mit 54 Milliarden US-Dollar die damals größte Pro-Kopf-Hilfe unter den Entwicklungsländern und übertraf damit die Pro-Kopf-Zahlungen an das subsaharische Afrika um ganze zwei Milliarden. Angesichts ihrer Probleme bei der Gewinnung ausländischer Direktinvestoren ist die MENA-Region zwar durchaus auf Hilfsgelder dieser Art angewiesen, ganz zu schweigen davon, dass Forschungsergebnisse belegen, dass 80 Prozent der in Armut lebenden Weltbevölkerung aus Ländern mit mittlerem Einkommen stammen. Dennoch zeugt dieser Kontrast von einer gewissen Diskrepanz im Hinblick auf die Verteilung öffentlicher Entwicklungsgelder. Studien zufolge sei dieser Umstand dadurch begründet, dass Geberinteressen einen entscheidenden Einfluss auf die geografische Zuweisung von Hilfeleistungen hätten (Harrigan 2011). Darüber hinaus sollen sich auch strategische Verbindungen zwischen zwei Ländern, z. B. Verbindungen zu ehemaligen Kolonien oder Protektoraten, positiv auf den Betrag an Hilfsgeldern auswirken, die ein Land jeweils erhält.

Als besonders stark von den geopolitischen Interessen ihrer Geber geprägt gelten bilaterale Hilfszahlungen. Unter diesen Gebern befinden sich nicht nur die Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD DAC), sondern auch sogenannte „neue Geber“, zu denen auch einige Staaten des Arabischen Golfs gehören. Ein erheblicher Teil arabischer Hilfsgelder wird Ländern gewährt, die Grundsätze der arabischen Solidarität befolgen und beispielsweise auf diplomatische Beziehungen zu Israel verzichten. Somit können sich geopolitische Anliegen nicht nur auf die Durchsetzung jeweiliger nationaler Interessen, sondern – das zeigen etwa die gemeinsamen Anstrengungen der Arabischen Staaten – auch auf die Hilfsvorhaben multilateraler Partnerschaften auswirken.

Hilfsgelder und ihre Zuweisung

Wenngleich ihnen im Hinblick auf die Gewährung von Hilfsgeldern gemeinhin eine vermeintlich neutralere Position zugeschrieben wird, werden auch multilaterale Geber von geopolitischen Interessen beeinflusst. Das ergab eine vom IWF und der Weltbank durchgeführte Stimmrechtsanalyse. Laut Harrigan und El-Said (2009) genössen die USA ein unverhältnismäßiges Stimmrecht innerhalb dieser Institutionen und seien so in der Lage, die geografische Verteilung von Finanzmitteln stärker mitzubestimmen. Verdeutlicht wird diese Bevorzugung der USA und ihrer geopolitischen Interessen durch Kredite, die der IWF und die Weltbank 1988 an Algerien zahlten. Algerien stand, ähnlich wie andere ölexportierende Länder, nach dem starken Rückgang der Ölpreise in den 80er-Jahren vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen. Obwohl das Land den Prozess der wirtschaftlichen Liberalisierung bereits eigenständig in die Wege geleitet hatte und damit die üblichen Voraussetzungen für IWF- und Weltbankkredite erfüllte, erhielt es vonseiten der beiden Institute keinerlei nennenswerte Unterstützung, bis es 1988 seine Innen- und Außenpolitik änderte. Erst nachdem das vorherige antiwestliche Regime zusammengebrochen und ein westlicher ausgerichtetes Regime mitsamt neuer Verfassung an seine Stelle getreten war, gewährten der IWF und die Weltbank dem Land Kredite.

Während geopolitische Erwägungen bei der Zuteilung von Hilfeleistungen also eine Rolle spielen, erhöhen jedoch auch ein niedriges Pro-Kopf-BIP, eine hohe Schuldendienstquote, ein starker Rückgang an Reserven und weitere wirtschaftliche Faktoren die Chancen auf Kredite. Darüber hinaus hat ein Land, das Waren aus einem Geberland importiert, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, finanzielle Unterstützung von diesem Land zu erhalten. So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Hilfszuweisungen stark von den geopolitischen Interessen der Geber, aber auch von einer Vielzahl anderer Faktoren wie wirtschaftlichen Aspekten und diplomatischen Beziehungen abhängen.


Über die Autorin:

Lena Gomer arbeitet derzeit an ihrem Master-Abschluss in Nah- und Mittelost-Studien an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Durch ehrenamtliches Engagement und ein Praktikum bei der Arab Countries Water Utilities Association in Amman, Jordanien, hat sie Einblicke in die MENA-Region gewonnen.