Globalisierung Kooperation in Zeiten wachsender Konkurrenz

Italien, besonders die mitregierende Fünf-Sterne-Bewegung unter Vizepremier Luigi Di Maio, geht nun und im Gegensatz zu anderen größeren EU-Partnern einen neuen Weg: Ende März beteiligten sich die Italiener mit 29 unterzeichneten Dokumenten an Projekten des chinesischen Leuchtturmprojektes der „Neuen Seidenstraße“. Gegenstand der Vereinbarung sind unter anderem Bereiche der Telekommunikation sowie der Ausbau der Häfen in Genua und Triest, einschließlich der Regelungen zur Finanzierung. Insbesondere der deutsche Außenminister Heiko Maas kritisierte diese Teilnahme heftig und beharrt auf einem einheitlichen EU-Vorgehen: „Wir können nur bestehen, wenn wir als EU geeint sind.“

Die Europäische Union ist Chinas größter Handelspartner, aus Sicht der EU steht China auf Platz 2 hinter den USA. Jeden Tag werden zwischen beiden Wirtschaftsräumen Waren im Wert von weit über einer Milliarde Euro ausgetauscht. 2017 exportierte die EU Produkte im Wert von 198 Milliarden Euro nach China und importierte mit 375 Milliarden Euro fast doppelt so viel. Chinas wirtschaftliche Macht basiert auch auf seiner Exportstärke. Wie Deutschland ist China aber genau hier verwundbar: Ein stärkerer Rückgang der Exporte würde Arbeitsplätze gefährden. Die EU-Kommission ist damit stark genug,  um mit China über ein Entgegenkommen bei strittigen Themen zu verhandeln.
Ein Land hat sicher eine Sonderbeziehung – Deutschland. Im vergangenen Jahr haben wir Waren im Wert von gut 93 Milliarden Euro nach China exportiert, während der Import bei 106 Milliarden Euro lag, das Verhältnis ist damit nahezu ausgeglichen. Frankreich exportierte mit nur 21 Milliarden Euro weniger als ein Viertel des deutschen Beitrags. Der Unterschied bei Direktinvestitionen ist ähnlich. Damit hat sich Deutschland ein großes Stück vom Kuchen abgeschnitten. Ist es da nicht verständlich, dass auch andere EU-Länder einen Anteil erzielen wollen?

Auf dem 20. Gipfeltreffen EU-China in Beijing wurde in der Abschlusserklärung vom 16. Juli 2018 der Ausbau der strategischen Partnerschaft bekräftigt.

Die Harmonie steht auf dem Prüfstand

Auf dem 20. Gipfeltreffen EU-China in Peking wurde in der Abschlusserklärung vom 16. Juli 2018 der Ausbau der strategischen Partnerschaft und die unveränderte Unterstützung für den regelbasierten Handel bekräftigt („comprehensive strategic partnership“). Die Führungsspitzen einigten sich unter anderem darauf, eine friedliche und diplomatische Lösung der nordkoreanischen Nuklearfrage zu unterstützen und an der Atomvereinbarung mit dem Iran festzuhalten.
Kritische Stimmen im Bild der Harmonie nehmen zu. In ihrem Papier vom Januar 2019 fordert die deutsche Industrie einen härteren Kurs gegenüber der Volksrepublik China. Insgesamt stellt sie 54 Forderungen auf, um Deutschland und Europa gegenüber dem chinesischen Staatskapitalismus wettbewerbsfähiger zu machen. „Der Systemwettbewerb mit China zwingt uns dazu, strategischer und langfristiger zu denken“, so der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Dieter Kempf. So ähnlich denkt auch der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier. In seiner „Nationalen Industriestrategie 2030“ beschreibt er unter anderem eine „aktivierende, fördernde und schützende Industriepolitik“ zur Gestaltung einer zukunftsfesten Marktwirtschaft, unabhängig von der Beziehung zu China, aber natürlich mit Blick auf dessen Expansion. Das chinesische Hightech-Programm „Made in China 2025“ dürfte bei diesen Überlegungen Pate gestanden haben. Die US-Administration wiederum versucht unter dem Schlagwort „decoupling“ (Entkopplung), China von modernsten Technologien abzuschneiden und zu isolieren.

„Der Systemwettbewerb mit China zwingt uns dazu, strategischer und langfristiger zu denken“, so BDI-Präsident Dieter Kempf.

Partner, Mitbewerber, Rivale?

Am 12. März 2019 folgte eine nächste kritische Würdigung, die Vorlage „EU-China – A strategic outlook“ der EU-Kommission. Es ist eine Bestandsaufnahme, gerichtet auch an das EU-Parlament und den Europäischen Rat. Danach bestimmen derzeit vier politische Formen unsere Beziehung en zur Volksrepublik China. Das Land sei:

  • ein Kooperationspartner mit ähnlich ausgerichteten Zielen
  • ein Verhandlungspartner, mit dem ein Interessenausgleich gefunden werden sollte
  • ein wirtschaftlicher Konkurrent auf dem Weg zur technologischen Führerschaft
  • und ein Rivale, der alternative Regierungssysteme fördere

Das Papier mit einer eher unerwartet deutlichen Auflistung unserer Positionen diente auch zur Vorbereitung des 21. EU-China-Gipfels am 9. April 2019 in Brüssel. Ziel ist ein realistischer Umgang mit der Führung der Volksrepublik. Leider ließ die unsägliche Diskussion um den Brexit im März auch ein solch wichtiges Thema in den Hintergrund rücken. Hier sei nur eine der zehn geforderten Maßnahmen der EU aufgeführt: „Um vor potenziellen schwerwiegenden Auswirkungen auf die Sicherheit kritischer digitaler Infrastrukturen zu schützen, ist ein gemeinsamer Ansatz der EU hinsichtlich der Sicherheit von 5G-Netzen erforderlich.“    

Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping im Vorfeld von dessen Staatsbesuch in Paris zum „Respekt für die Einheit Europas“ auf. Vorausgegangenen war die besagte Vertragsunterzeichnung in Italien. Manchmal ist es hilfreich, auch guten Partnern Grenzen aufzuzeigen. Wären öffentliche Kontakte zum Umfeld des Dalai Lama, zu Taiwan oder zur Gruppe der Uiguren im Vorfeld des EU-China-Gipfels am 9. April hilfreich gewesen, um China zu zeigen, dass auch dessen Selbstbewusstsein manchmal nur scheinbar unangreifbar ist? Wer im Vorfeld einer wichtigen Konferenz Nadelstiche setzt (zum Beispiel Vereinbarung China-Italien), muss im Gegenzug mit Nadelstichen der anderen Seite rechnen.

Kooperationen mit zentralasiatischen Staaten im Fokus

Es wäre von europäischer Seite sinnvoll, sich stärker mit den zentralasiatischen Staaten zu befassen, die entlang der chinesischen „Belt and Road Initiative“ (Neue Seidenstraße) liegen. Auch 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bin ich mir nicht sicher, ob wir Europäer sofort wissen, welches Land mehr Einwohner hat: das riesige Kasachstan oder das vergleichsweise kleinere Usbekistan? Das Mega-Projekt bietet schließlich auch wirtschaftliche Vorteile für Europa. Unser europäisches Modell des demokratischen Rechtsstaates wird sich allerdings nicht von alleine ausbreiten. Chinas Versprechen von Wohlstand, Sicherheit und Ordnung ist ein im globalen Kontext sehr attraktives Gegenstück zur Führung von Staaten. Die kaum zu begreifenden parlamentarischen Vorgänge im Rahmen des Brexit werden autokratische Regierungen nicht zu Selbstzweifeln an ihrem Weg treiben.

Vielleicht befinden wir uns in einer Phase, in der die Globalisierung nicht nur die beste Verteilung von Waren, Dienstleistungen und Kapital auf den Weltmärkten betrifft, sondern auch eine andere Frage aufwirft: Welche Werte und welche politische Richtung werden die Zukunft bestimmen? Die amerikanischen? Die chinesischen? Oder unsere europäischen Werte?

Über den Autor:

Ferry Wittchen ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer im Raum Stuttgart. Er berät insbesondere mittelständische Unternehmen im Rahmen der Internationalisierung.