Politics & StandpointsFrauen. Macht. Politik.

Er gehört zu den ersten Artikeln des deutschen Grundgesetzes: Artikel 3 „Männer und Frauen haben gleiche Rechte“. Dass es trotzdem noch immer Benachteiligungen für Frauen gibt, ist eine der großen Herausforderungen der Politik. Familienministerin Franziska Giffey stellte im Frühjahr die gleichstellungspolitischen Maßnahmen ihres Ministeriums vor.

Illustration © Diane Labombarbe / iStockphoto

Die jetzige Bundesregierung hat es „zum ersten Mal in ihrer Geschichte geschafft, eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie aller Bundesregierungsressorts zu verabschieden“, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf einer Online Pressekonferenz im Frühjahr. Dieses Handlungskonzept für die nächsten Jahre solle dazu beitragen, eine partnerschaftliche und moderne Gesellschaft zu gestalten. Welche gleichstellungspolitischen Schwerpunkte ihr Ressort einbringt, stellte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf einer Pressekonferenz im März vor.

GEGEN KLISCHEES UND ROLLENBILDER

„Eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind, in der Chancengleichheit besteht, unabhängig vom Geschlecht und in der jeder ein selbstbestimmtes Leben führen kann“, so Franziska Giffey, bedeute auch eine klischeefreie Gesellschaft ohne Rollenzuschreibungen, in der es selbstverständlich sei, dass Frauen Polizistinnen und Dachdeckerinnen werden könnten und Männer Kitaerzieher und Altenpfleger.

VORTEILE DER GLEICHSTELLUNG

Einer aktuellen Studie zufolge seien 82 Prozent der Befragten der Meinung, dass Gleichstellung für die Wirtschaft nützlich sei, d.h. dem Fachkräftemangel abhelfen könne und zu besseren Produkten und Angeboten führe. Die befragten Männer sehen den Vorteil der Gleichstellung darin, dass sie mehr Zeit für die Familie haben und nicht mehr Alleinverdiener der Familie sein müssen.

ENTGELTGLEICHHEIT

Um festzustellen, ob in einem Unternehmen Männer und Frauen für die gleiche Arbeit gleich bezahlt werden, wurde schon 2017 das Entgelttransparenzgesetz eingeführt. Danach haben Frauen einen gesetzlichen Anspruch zu erfahren, ob sie für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie die Männer im Unternehmen bekommen. Doch dieser Anspruch würde nur „sehr zurückhaltend“ wahrgenommen, so Giffey. Viele Unternehmen seien zudem nicht sicher, ob sie das Entgeltgleichheitsgebot umsetzten. Darum habe das Bundesfamilienministerium das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Entgeltgleichheit“ eingeführt, um Unternehmen bei der Umsetzung des Gesetzes zu beraten und zu begleiten. Das Programm, vergleichbar mit dem Programm „Erfolgsfaktor Familie“, dem sich 7000 Unternehmen bundesweit angeschlossen hätten, um eine familienfreundliche Unternehmenskultur umzusetzen, sei mit 1 Million Euro ausgestattet und werde bis 2023 laufen.

GERMAN EQUAL PAY AWARD

„Um die zu ehren, die die Entgeltgleichheit schon umsetzen“, so Giffey, werde das Ministerium einen Wettbewerb für Unternehmen ausloben, den German Equal Pay Award. Denn die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist auch im Jahr 2021 mit 19 Prozent noch immer eklatant.

FÜHRUNGSPOSITIONENGESETZ

Weil sich freiwillig wenig ändere, würden gesellschaftspolitische Anreize benötigt, sagte die Bundesfamilienministerin und stellte die Weiterentwicklung des Führungspositionengesetzes von 2015 in Aussicht. „Frauen gehören überall dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden“ zitierte Giffey die US-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit seien gemischte Teams und Frauen in Führungspositionen unverzichtbar.

NICHT AUF POTENTIALE VON FRAUEN VERZICHTEN

Um eine gerechte und moderne Gesellschaft zu schaffen, könne man nicht auf Talente und Potenziale von Frauen verzichten. Es solle keine frauenfreien Vorstandszonen mehr geben. Der öffentliche Dienst werde mit gutem Beispiel vorangehen. Das Ziel: In Bundesunternehmen mit mehr als 50 % Bundesbeteiligung, in Körperschaften des öffentlichen Rechts, in Krankenkassen, Rentenversicherungen, Unfallversicherungen und Bundesbehörden soll der Frauenanteil bis 2025 auf 50 % zu erhöht werden. Derzeit liege der Frauenanteil bei 37 %.

FAIR SHARE OF WOMEN LEADERS

Auch in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, in Nicht-Regierungsorganisationen und Stiftungen müsse sich dringend etwas ändern. Hier seien die Führungsetagen zu 70 % mit Männern besetzt, während auf den Arbeitsebenen vor allem Frauen anzutreffen seien. Das Bundesfamilienministerium unterstütze daher die Initiative „Fair share of women leaders“, die mehr Frauen in Führungspositionen bringen will. Franziska Giffey verwies auf den Gleichstellungsatlas, den die Bundesregierung herausgibt, und der immer noch bestehende große Unterschiede in Sachen Gleichstellung, Einkommen, Erwerbstätigkeit von Frauen etc. deutlich mache.

WENIG FRAUEN IN POLITIK UND VERWALTUNG

Ebenso sei der Frauenanteil in Verwaltungsspitzenpositionen und in Führungspositionen in der Politik noch immer sehr gering, in den kommunalen Vertretungen beispielsweise betrage er nur 27,7 %. In Landesregierungen seien Frauen immerhin mit 39,8 % vertreten, aber in den Landesparlamenten seien nur knapp ein Drittel Frauen.

KEINE WEIBLICHEN TALENTE?

Die Unterrepräsentanz von Frauen in vielen Bereichen erkläre sich aber nicht mit mangelndem Talent oder mangelnder Begabung, sagte Giffey, denn Frauen seien in Abiturjahrgängen und an Universitäten stark vertreten, oft sogar mit besseren Noten als die Männer. Daher sei eine besondere Förderung auf verschiedenen Ebenen geboten, u.a. auch durch eine künftige Bundesstiftung, die durch Information, Vernetzung und Sensibilisierung die Gleichstellung beschleunigen werde.

ELTERNGELD

Das Elterngeld wurde bei der Einführung zu 3 % von Vätern in Anspruch genommen. Heute, nach 10 Jahren, seien es immerhin schon 40 % der Väter, die nach der Geburt ihres Kindes für einige Wochen oder Monate zu Hause blieben.

GENDER CARE GAP

Relativ hoch ist noch immer der Gender Care Gap: Frauen verbringen 52 % mehr Zeit mit der Familiensorge als Männer, investieren also doppelt so viel Zeit in klassische Haushaltsarbeiten wie Kinderbetreuung, Kochen, Putzen u.ä.

GANZTAGSBETREUUNG

Neunzig Prozent der Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag seien umgesetzt, so die Familienministerin, ausgenommen der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Das Gesetz sehe vor, dass Familien ab 2025 einen Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder bekommen sollten. Die finanziellen Mittel, 4 Milliarden Euro, stünden dafür zur Verfügung. Aber die Bundesländer blockierten, weil sie vom Bund eine höhere Beteiligung für die Betriebskosten forderten. Nicht nur aufgrund ihrer Arbeit im sozialen Brennpunkt in Berlin-Neukölln sei ihr das Thema ein Herzensanliegen, sagte Franziska Giffey, die von 2015 bis 2018 Neuköllner Bezirksbürgermeisterin war, sondern weil die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern der „Game Changer“ sei: „Wenn wir weiterkommen wollen bei der Erwerbsquote von Müttern, bei mehr Lohngerechtigkeit, bei mehr Frauen in Führungspositionen, müssen wir das Thema Kinderbetreuung angehen.“