Wenn wir an die deutsche Wirtschaft denken, fallen uns sofort die großen Unternehmen mit den weltweit bekannten Namen ein. Häufig wird allerdings die enorme Wirtschaftskraft der kleinen und mittleren Unternehmen unterschätzt, denen der BVMW eine Stimme gibt. Ohne den Mittelstand würde unsere Wirtschaft überhaupt nicht „rund“ laufen und es sind oft kleine und mittlere Unternehmen, die in ihrem Segment zu den Weltmarktführern gehören, obwohl man oftmals nicht mal deren Namen kennt. Wir werden in den folgenden Ausgaben genau diesen Unternehmen ein Forum bieten, das deren Bedeutung für unser Land widerspiegelt.
DM: Die Kraft und der Einfluss des deutschen Mittelstandes sind weltweit einmalig. Wie ist der BVMW entstanden und welche Ziele verfolgt er?
Andreas Jahn: Die Erfolgsgeschichte des BVMW beginnt 1975 in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Damals haben sich sieben Selbstständige zu einer Art Selbsthilfeorganisation zusammengeschlossen, um aktiv etwas gegen die Benachteiligung der Klein- und Mittelbetriebe im Vergleich zu Konzernen zu unternehmen. Zunächst war der Verband vor allem in NRW aktiv. Im Laufe der Jahre, und besonders dynamisch in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, entwickelte sich ein dichtes Netz von Geschäftsstellen im In- und Ausland. Heute zeigen wir bundesweit mit über 300 Geschäftsstellen Flagge für den Mittelstand, dazu kommen eigene Verbindungsbüros in den wichtigsten Wirtschaftsregionen weltweit. Im Rahmen unserer Mittelstandsallianz vertreten wir alles in allem die Interessen von 900.000 Unternehmerinnen und Unternehmern.
Seit seiner Gründung kämpft unser Verband für bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Konkret heißt das: Entlastung der Betriebe und Bürger statt Belastung, Zukunftsinvestitionen statt Subventionen, privat statt Staat, unternehmerische Freiheit statt staatlicher Gängelung. In der gerade eskalierenden Energiekrise geht es schlicht um das Überleben Tausender mittelständischer Unternehmen und ganzer Branchen.
Unsere Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen. Ich beschränke mich auf drei Beispiele aus jüngerer Zeit. Das beginnt bei A wie Abschlagshilfen bei der Corona-Überbrückungshilfe III, geht über die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung und endet bei Z wie Zwangsabgabe, genauer gesagt: den weitgehenden Wegfall des Solidaritätszuschlags. Ganz aktuell haben wir uns – anfangs als einziger Verband – erfolgreich für eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke eingesetzt. Dass unser Kurs stimmt, zeigt sich gerade in der Krise. Im Unterschied zu anderen Verbänden wächst der BVMW kontinuierlich weiter.
DM: Die gegenwärtige Situation stellt die deutsche Wirtschaft vor große Probleme. Wie kann der BVMV helfen, diese Probleme nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch mit Unterstützungen zu helfen?
Andreas Jahn: Als größter, freiwillig organisierter Mittelstandsverband versteht sich der BVMW nicht nur als reine Interessenvertretung gegenüber politischen Entscheidungsträgern, sondern bietet seinen Mitgliedern auch Service-orientierte Hilfestellungen an, beispielsweise in Form von Checklisten, Leitfäden oder der Bereitstellung von nützlichen Informationen. Dafür sind unsere zahlreichen Kommissionen und Expertenkreise von größter Bedeutung, in denen sich Unternehmerinnen und Unternehmer themenspezifisch austauschen und vernetzen können. Während die Kommissionen auf Grundlage der Expertise unserer Mitgliedschaft und den Praxiserfahrungen im eigenen Unternehmen die politische Positionierung des Verbandes vorgebe und an die Politik durch direkte Gespräche mit Verantwortlichen tragen, steht für unsere Expertenkreise vor allen Dingen der Unterstützungsgedanke von Mitgliedern für Mitglieder im Vordergrund. Darüber hinaus stehen unsere Fachabteilungen jederzeit bereit, um auf eingehende Anfragen zu antworten und unseren Mitgliedern bei offenen Fragen zu helfen.
DM: Viele Unternehmen sind wie nie zuvor abhängig von zuverlässigen Lieferanten, die z. Z. ihre Verpflichtungen überhaupt nicht erfüllen können. Wie gehen diese Unternehmen damit um und welche Alternativen könnten sich anbieten?
Andreas Jahn: Entwicklungen im Zuge der Globalisierung haben in den letzten Jahrzehnten weltweit eine engmaschige Verzahnung von Wertschöpfungs- und Lieferketten geprägt. Umreibungslose Beschaffungs- und Vertriebsprozesse zu gewährleisten, ist es unverzichtbar, dass alle Beteiligten kooperieren. Während der Pandemie ist dieser Mechanismus aber zunehmend gestört worden. Dies hatte zur Folge, dass Lieferungen sich verzögerten oder gar ausblieben.Während große, international agierende Unternehmen aufgrund ihrer Finanzkraft und Reichweite relativ problemlos Alternativen gefunden haben, fällt es den Mittelständlern oftmals schwer, mit dieser Situation umzugehen. Viele kleine und mittlere Unternehmen haben für bestimmte Zwischenprodukte oder Rohstoffe oftmals nur einen Lieferanten, was eine gewisse Abhängigkeit mit sich bringt. Fällt dieser Lieferant aus, hat dies unweigerlich auch Konsequenzen auf die eigene Produktion, den Handel oder das Anbieten von Dienstleistungen und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und letztlich auch seiner Kunden. Um aus dieser schwierigen Situation herauszukommen, begeben sich viele Mittelständler auf die mühsame Suche nach Lieferalternativen. Mit Blick auf die internationalen Verwerfungen, die wir zurzeit erleben, ist eine Diversifizierung dabei von besonderer Bedeutung, um nicht in neue Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten. Aber auch die Politik kann einiges tun, um Abhilfe zu schaffen und mehr Güter national bereitstellen– beispielsweise durch Recycling und damit verbundene Verbesserungen der Kreislaufwirtschaft.
DM: Wie kann der BVMW helfen, Unternehmen zu unterstützen, die in der momentanen Marktwirtschaft den Anschluss nicht mehr schaffen?
Andreas Jahn: Zunächst ist es wichtig, den Unternehmen zuzuhören und die Problemstellungen zu evaluieren, mit denen sich unsere Mitglieder auseinander setzen müssen. Auf dieser Grundlage setzen wir uns dann mit Nachdruck dafür ein, den Herausforderungen des deutschen Mittelstandes Gehör zu verschaffen und auf die Interessen der Unternehmen aufmerksam zu machen. Dafür sind wir täglich im Gespräch mit Entscheidungsträgern aus der Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Natürlich gehört zur Wahrheit dazu, dass nicht jedes gegründete Unternehmen erfolgreich ist und langfristig fortbesteht. Grade während der Pandemie haben wir aber erlebt, dass ein Anschlussverlust an die Marktwirtschaft nicht immer selbstverschuldet ist, sondern auch von externen Faktoren beeinflusst werden kann. In diesen Fällen ist es besonders wichtig, den eigentlich erfolgreichen Geschäftsideen auch die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.
DM: Welche Zukunftsmärkte bieten im Augenblick besonders große Chancen für den deutschen Mittelstand?
Andreas Jahn: Durch die geopolitischen Verwerfungen sind derzeit viele Märkte im Umbruch. Für den deutschen Mittelstand erweist sich besonders die MENA-Region (Middle East and Northern Africa) als sehr vielversprechend. Unser Verband hat neulich ein Büro in Katar eröffnet. Die dortige Regierung will zehn Milliarden Euro in den deutschen Mittelstand investieren. Auch die Zukunftsmärkte Afrikas sind für mittelständische Unternehmer von großem Interesse. Unser Verband hat mit den Gründungen einer Taskforce im Senegal sowie in Tunesien und Ruanda der gestiegenen Nachfrage bereits Rechnung getragen.
Interview Tanja Schmidt